Wie schon erwähnt, lesen wir gerade recht viel aus dem Band „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen“ vor. Zwei Geschichten daraus haben mich irgendwie fasziniert, auf eine recht ambivalente Art und Weise. Ihren Inhalt fand ich zuerst banal und zu pädagogisch. Ihre Sprache und Konstruktion aber hat mich bezaubert und berührt. Lustigerweise sind beide Geschichten von derselben Autorin, Edith Bergner. Die Geschichten heißen: „Vom Jochen, der nicht aufräumen wollte“ und „Der Star im Apfelbaum“.
Letztere von beiden Geschichten ist eine Frühlingsfabel – nicht gerade passend zur derzeitigen Jahreszeit, aber egal. Das Mädchen Babett erwartet sehnsüchtig den Frühling, der Star im Apfelbaum soll ihn wecken, schafft es mit seinem Lied aber nicht. Da soll er andere Lieder finden, die den Frühling bringen und der Vogel macht sich auf die Suche. Er lernt die Gesänge der Libelle, der Wildente, des Uhus und der Lachtaube kennen, doch den Frühling weckt er damit nicht. Zu seinem Entsetzen muss er entdecken, dass er bei der Suche sein eigenes Lied vergessen hat. Erst die Begegnung mit einer Starin bringt ihm seine Stimme zurück und damit erwacht dann auch der Frühling.
Die Lieder der einzelnen Tiere werden lautmalerisch wiedergegeben. Der Star singt: „Züp, züp, zie-züp, züp, zie, ich habe eine Nachricht für Sie! Der Frühling schläft im Apfelbaum. Züp, züp, witt, witt, wir wollen ihn wecken. Kommen Sie mit?“ Die Libelle antwortet: „Sü, sü, es ist noch zu früh.“ Daraufhin die Wildente: „Waak, waak, wir warten bis zum Donnerstag.“ Der Uhu faucht: „Bu-hu, lass mich in Ruh!“ Und die Lachtaube kichert: „Gri, gri, ci, ci, cheri!“ Diese Lautmalereien strukturieren die Geschichte und verleihen ihr viel Farbe und Poesie. Die recht einfache Tierfabel und Naturbeobachtung bekommt eine schöne und besondere Atmosphäre.
Ebenso verfährt Edith Bergner in „Vom Jochen, der nicht aufräumen wollte“. Das Spielzeug von Jochen, das kaputt und lieblos im Zimmer herum liegt, wird zum Leben erweckt und bekommt lustige Namen wie die Trommel Wummbummbommel oder das Kasperl Klabasterl. Und so tritt die sehr pädagogische Handlung der Geschichte in den Hintergrund und der Spaß an der Sprache wird geweckt.
Dieses poetische Vorgehen in den Geschichten hat mich so neugierig gemacht, dass ich ein paar Recherchen zur Autorin angestellt habe. Dabei bin ich aber nicht sehr erfolgreich gewesen, es gibt nur wenige Informationen zu Edith Bergner, keinen Wikipedia-Eintrag, nur ein Büchlein, eine Festschrift zum 70. Geburtstag, aus der DDR habe ich gefunden. Sie wurde 1917 als Tochter eines Bauern auf dem Land geboren und war in der ersten Hälfte ihres Lebens von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts direkt betroffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sie mit ihrer Mutter allein den heimatlichen Hof bewirtschaften und kann ihren kulturellen Interessen erst ab 1953 nachgehen, als sie nach Halle zog. In Halle war sie als Kulturfunktionärin sehr aktiv und setzte sich für jüngere Schriftstellerkollegen ein.
Leider habe ich mich noch nicht intensiv mit der DDR-Kinderliteratur auseinander gesetzt, so dass es mir schwer fällt, Edith Bergners Engagement für das DDR-Regime einzuschätzen. Die Frage aber, wie die eigentlich unpolitische und „harmlose“ Kinderliteratur mit Staatsinteressen verquickt war oder gegen sie gearbeitet hat, finde ich sehr spannend. Wenn es Gelegenheit dazu gibt, werde ich mich noch weiter damit beschäftigen.
Edith Bergner: Der Star im Apfelbaum. Mit Bildern von Ingeborg Meyer-Rey. In: Corinna Schiller (Hrsg.): Erzähl mir vom kleinen Angsthasen. Die schönsten Kindergeschichten der DDR. Beltz & Gelberg 2009. S. 225-235. ab 4 Jahren. Sammelband 14,95 Euro. Auch als Einzelband erhältlich.
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