Urzeitrobotor 2. Teil: „Alle Kinder. Ein ABC der Schadenfreude“ von Anke Kuhl und Martin Schmitz-Kuhl

Humor kann ganz schön provozieren und polarisieren, wie das heutige Buch aus der Nominierungsliste zum „Urzeitroboter“ zeigt. 12 amazon-Bewertungen teilen sich in zwei gegensätzliche Lager. Fünf Rezensenten finden es gut, sieben grottenschlecht. Dabei tritt eine Verbissenheit und Rigorosität zu Tage, die mich in Erziehungsfragen immer wieder erstaunt. Ein Leser betitelte seine Rezension z.B. mit dem Schlagwort „abartig“, nennt das Buch „pervers“ und meint, er würde seinem Sohn verbieten, die Sprüche aus dem „ABC der Schadenfreude“ nachzusprechen.

Dabei greifen die Autoren ein Phänomen auf, dass sowieso auf allen Schulhöfen grassiert: Zweizeilige Reime, in denen einem Kind etwas Schreckliches passiert, während die anderen Kinder in Sicherheit sind. Ich kannte diese Sprüche wie „Alle steh’n am Abgrund. Außer Peter, der geht noch nen Meter.“ auch noch und fand sie lustig als Kind. Unser 4-Jähriger versteht sie leider noch nicht. Aber für 6-Jährige sind sie bestimmt ein großer Spaß. Die 26 Reime werden von klaren Illustrationen begleitet. Die gezeichneten Figuren erinnern in ihrem Stil an die Geschichten von „Le petit Nicolas“ von Sempé und Goscinny, zeigen also Kinder, die ein bisschen wie zu klein geratene Erwachsene aussehen und immer mit glupschigen Augen in die Welt schauen. Die Reime sind alphabetisch nach den Namen der Kinder, auf die ein Reim gedichtet wird, angeordnet. Sogar für das Y wurde ein Name gefunden: „Alle Kinder halten die Tür [vom Klohäuschen] zu. Außer Yves – der sitzt im Mief.“

So kann man prima diskutieren, was denn „gemein sein“ bedeutet. Man kann neue Reime hinzudichten – einige Erwachsene, denen ich das Buch gezeigt habe, meinten sofort: „Da fehlt doch der und der Spruch!“. Und man kann über Humor nachdenken, denn Schadenfreude ist ein wichtiger Bestandteil der Lachkultur. Und wenn sie sich nicht auf konkrete Personen, deren Unglück man gerade vor Augen hat, bezieht und die eigentlich eher Hilfe benötigen als hämische Kommentare, finde ich Schadenfreude einen legitimen Grund zum Lachen und Spaß haben.

Mein Fazit: Das Buch nimmt ein Schulhofphänomen auf und spinnt es weiter. (plus) Im „ABC der Schadenfreude“ stecken mehr Denkanlässe als man auf den ersten Blick vermuten würde. (plus). Das Buch erschien 2011 schon in der dritten Auflage, ist also nicht ganz neu. (minus) Die Zielgruppe entspricht nicht der bei Bilderbüchern üblichen Altersspanne. (minus)

Anke Kuhl und Martin Schmitz-Kuhl: Alle Kinder. Ein ABC der Schadenfreude. Klett Kinderbuch 2011. ab 6 Jahren. 12,90 Euro.

Gute Taten: „Nimmerklug in Sonnenstadt“ von Nikolai Nossow

Zur Zeit beschäftige ich mich mit einem Helden aus meiner Kindheit. Ich habe das Buch „Nimmerklug in Sonnenstadt“ von Nikolai Nossow hervor gekramt und stöbere gerade darin. An die Geschichte konnte ich mich fast gar nicht mehr erinnern. Aber die Tuschezeichnungen, die den Text begleiten, gaben mir gleich ein warmes Gefühl von Vertrautheit. Außerdem fand ich die Überlegung spannend, welche Gedanken aus diesem Buch – das mir sehr, sehr, sehr oft vorgelesen wurde und ich schließlich selbst mehrere Male gelesen habe – mein Leben und meine Einstellungen beeinflusst haben. Und welche Ideen heute auch noch in Kinderbüchern vorkommen oder ob der Wechsel des Gesellschaftssystems – die Nimmerklug-Bücher sind 1954 erstmals in der Sowjetunion erschienen – sich auch in den Geschichten grundlegend bemerkbar macht. Zuerst einmal handelt es sich nämlich bei „Nimmerklug in Sonnenstadt“ um eine klassische Reisegeschichte: Der Held zieht aus, um ein Abenteuer zu bestehen und kehrt am Ende zurück.

Auf den ersten Seiten fiel mir aber schon ein zentrales Motiv auf, das in zeitgenössischen Kinderbüchern kaum noch begegnet: Der Held soll „gute Taten“ verbringen. Da musste ich gleich an einen Klassiker der DDR-Schullektüre denken, in dem der14-jährige Timur Garajew sich als Anführer einer Jungsbande um die Witwen und die Angehörigen von Frontsoldaten kümmert: „Timur und sein Trupp“. Spannend ist in „Nimmerklug in Sonnenstadt“, das der kleine Knirps reflektieren muss, was eine „gute Tat“ denn überhaupt ist. Seine Freundin Pünktchen berichtet ihm von einem Zauberer, der demjenigen einen Zauberstab schenkt, der drei gute Taten hintereinander vollbringt. Das Knifflige an der Aufgabe ist, dass der Prüfling nicht aus Egoismus und nur mit Ziel, den Zauberstab zu erlangen, handeln soll. So scheitert Nimmerklug auch bei seinen ersten Versuchen, seinen Freunden zu helfen. Seine Ungeschicklichkeit, die mir immer sehr sympathisch war, verhindert noch dazu, dass er seinem Ziel näher kommt. Erst als er die Aufgabe eigentlich schon wieder vergessen hat, gelingt es ihm, uneigennützig zu helfen.

Werden in Kinderbüchern selten „gute Taten“ thematisiert, so bietet das Internet eine Fülle von Möglichkeiten und Angeboten. Vor kurzem bin ich z.B. auf die Seite http://doonited.com/blog gestoßen, die eine „gute Tat“ pro Tag vorschlägt und dafür Punkte verteilt. So soll durch viele kleine „gute Taten“ die Welt verbessert werden. Dabei drehen sich die „guten Taten“ nicht wie beim kleinen Knirps Nimmerklug um die Hilfe bei der Arbeit oder kleine Aufmerksamkeiten gegenüber Freunden, sondern es geht oft darum, sich selbst etwas Gutes zu tun und dabei noch sein grünes Gewissen zu entlasten. Natürlich wird auch das menschliche Miteinander einbezogen, aber doch in einer sehr unkonkreten Art und Weise, wie z.B. „Verbringe eine Stunde deiner Zeit mit einer Person deiner Wahl.“ Wenn man die „guten Taten“ bei Nimmerklug und www.doonited.com vergleicht, so scheint gerade der Uneigennutz, der dem Knirps zu seinem Zauberstab verhilft, den entscheidenden Unterschied auszumachen. Damals dienten „gute Taten“ der Eingliederung in die arbeitende Gesellschaft, heute funktionieren „gute Taten“ als Wellness-Programm für gestresste Großstadtbewohner.

Nikolai Nossow: Nimmerklug in Sonnenstadt. leiv 2008. ab 6 Jahren. 14,90 Euro.

Urzeitroboter 1. Teil: „Neue Karlchen-Geschichten“ von Rotraut Susanne Berner

Wir haben das erste Buch aus der Nominierungsliste für den Bilderbuchpreis „Urzeitroboter. Das lustigste Bilderbuch 2012“ vorgelesen: eine Sammlung der seit 2001 erscheinenden Karlchen-Geschichten von Rotraut Susanne Berner, einer u.a. für ihre Wimmelbücher sehr bekannten Illustratorin. Die kurzen Texte beschreiben Alltagsbegebenheiten rund um den kleinen Hasen Karlchen, dessen Name an die Fritzchen-Witze erinnert, die zu meiner Kindergartenzeit erzählt wurden und Knirpse zum Kichern, Erwachsene aber eher zum Gähnen brachten. Genauso ging es uns mit den Karlchen-Geschichten. Unser Sohn mag sie, auch wenn er nicht in schallendes Gelächter ausgebrochen ist. Wir vermissen die Pointen. Es stellte sich ein gewisser „Bobo-Siebenschläfer-Effekt“ ein, denn die Texte sind sehr stark auf die Erfahrungswelt der Kinder bezogen, Erwachsenen wird aber schnell langweilig beim Vorlesen. Da helfen ein bisschen die warmherzigen Illustrationen, die aber leider doch recht spärlich gesät sind.

Mein Fazit: Die Geschichten gehören zu einer Reihe, die schon seit langem fortgesetzt wird. (minus) Die Geschichten sprechen Kinder gut an. (plus) Der Spaß beim Vorlesen für Erwachsene hält sich in Grenzen (minus). Mehr Illustrationen wären schön gewesen. (minus)

Rotraut Susanne Berner: Neue Karlchen-Geschichten. Ein Vorlese-Bilder-Buch. Hanser-Verlag. ab 3 Jahren. 9,90 Euro.

Wieder da …

Seit Ostern war es ruhig im Blog, nun geht es weiter … Heute zuerst mit einem Ausstellungs- und Katalogtipp: Im Frankfurter Goethehaus wird vom 24. April bis 15. Juli 2012 die Ausstellung „Hänsel und Gretel im Bilderwald. Illustrationen romantischer Märchen aus 200 Jahren“ gezeigt. In einem früheren Blogbeitrag  hatte ich schon einmal thematisiert, dass die Bebilderung spannende Einblicke in die Rezeption und die Sichtweise auf Märchen gibt. Die Ausstellung macht dieses sicher auch noch einmal deutlich.

Ostermusik: „Stups, der kleine Osterhase“ von Rolf Zuckowski

Wie im letzten Jahr zur Osterzeit hat sich ein Ohrwurm aus dem Kindergarten bei uns eingenistet. „Stups, der kleine Osterhase“ von Rolf Zuckowski wird bei uns gerade von morgens bis abends gesungen … oder vielleicht doch eher gebrüllt. Der Refrain eignet sich hervorragend zum lautstarken Gröhlen wie mir scheint. Bei youtube fand ich eine Version, die von der Intonation und dem Ausdruck der Darbietung unseres Sohnes recht nahe kommt.

Viel Spaß damit und in diesem Sinne fröhliche Osterfeiertage  – frei nach dem Motto: Je größer die Hasen, umso größer die Osternester!

Hurra, ein Bücherpaket: Der Urzeitroboter 2012 – Preis für das lustigste Bilderbuch des Jahres

Rainer Sturm / PIXELIO

Im Januar hatte ich hier  davon berichtet, dass ich in die Jury für den „Urzeitroboter 2012“, ausgelost von der Zeitschrift Brigitte Mom und dem Illustrator Patrick Wirbeleit, aufgenommen wurde. In der letzten Woche brachte nun der Postbote ein großes Paket mit den von Verlagen vorgeschlagenen Büchern. Wie ihr euch denken könnt, war das für mich ein Ereignis wie Weihnachten und Ostern zugleich. Am liebsten hätte ich mich gleich in die Arbeit gestürzt und vorgelesen. Leider war erstens mein Publikum gerade im Kindergarten, stehen zweitens im Moment viele andere wichtige Dinge auf meiner To-do-Liste und drittens erfordert so eine große Aufgabe auch ein planvolles Vorgehen, finde ich.

Nun grübele ich seit einer Woche, wie ich meiner Verantwortung als Jury-Mitglied am besten gerecht werde. Meine Bewertung muss ich bis zum 31. Juli einreichen. Ich soll die drei Bücher heraussuchen, die ich am lustigsten finde und dabei dem ersten Platz drei Punkte, dem zweiten Platz zwei Punkte und dem dritten Platz einen Punkt geben.

Nun stellen sich mir folgende Fragen: Wie kann ich meinen Vorlesekreis erweitern? Die Meinungen meines Sohnes und seines Papas sind wichtig, aber ich fürchte, ich könnte die beiden mit dem Vorlesepensum überfordern. Immerhin stehen 12 Bücher zur Auswahl. Welche Kriterien lege ich an, um die Bücher zu beurteilen? Die Kategorien „Gefällt mir“ oder „Gefällt mir nicht“ erscheinen mir etwas zu oberflächlich. Andererseits soll ja das lustigste Bilderbuch gewählt werden und Humor kann man schlecht begründen oder analysieren. Da zählt wohl doch der erste Eindruck. Entweder das Buch schlägt ein oder nicht. Allerdings brauchen gerade Bilderbücher oft etwas Zeit, damit sie den Weg in das Herz der kleinen Leser finden, denn diese können beim ersten Hören und Sehen oft noch gar nicht alle Informationen aufnehmen. Schließlich überlege ich noch, ob und wie ich den Blog in die Juryarbeit einbinde. Leider kenne ich die anderen Juroren nicht, so dass ich nicht weiß, ob nicht vielleicht einer von ihnen zufällig bei „vorgelesen“ mitliest und so das Juryergebnis verfälscht werden könnte, wenn ich zu viele Überlegungen öffentlich mache.

Ihr seht, es rumort ganz schön in meinem Kopf. Ich hoffe, bald einen Plan zu haben und halte euch auf dem Laufenden in Sachen „Urzeitroboter 2012“. Natürlich freue ich mich über eure Tipps und Anregungen.