Bummeleien.“Bettina bummelt“ von Elizabeth Shaw

bettina bummeltWas für ein herrliches Wort! Bummeln! Mit so schönen Wörterbuchbedeutungen: 1) schlendernd, ohne Ziel durch die Straßen spazieren gehen, 2) Lokale besuchen, 3) langsam arbeiten, trödeln, 4) nichts tun, faulenzen. Mit einer lustigen Wortgeschichte: Es kommt ursprünglich aus dem Niederdeutschen und bezeichnete das Hin- und Herschwanken einer schwingenden Glocke, die das Geräusch „bum, bum“ von sich gibt. Mit interessanten Zusammensetzungen: Bummelzug, Bummelliese, Bummelfritze, Bummelstreik, Bummelant. Was ist bloß ein Bummerl? Aha: so heißt in Österreich umgangssprachlich ein Tor im Sport – wie niedlich!

Ihr könnt lesen: Dieses Wort begeistert mich. Und passenderweise gibt es ein Kinderbuch von meiner Lieblingskindheitsautorin Elizabeth Shaw (über die ich unbedingt noch schreiben möchte, wenn ich endlich mal in diese Bibliothek mit einem hochinteressanten Buch über sie komme) über dieses Wort: „Bettina bummelt“, das ich vor einiger Zeit neu für mich entdeckt habe.

Bettina bummelt gerne auf dem Weg von der Schule nach Hause, die Mutter wartet schon mit dem Essen und ärgert sich über die Unpünktlichkeit ihrer Tochter. Um das Mädchen zu erziehen, werden in der Geschichte die Rollen vertauscht: eines Tages bummelt auch mal die Mutter (sie kauft sich einen neuen Hut – sehr extravagant). So erfährt Bettina, wie es ist, auf jemanden warten zu müssen. Diese pädagogische Botschaft nervt mich ein bisschen, denn ich mag Bummeleien sehr und finde, besonders Kinder sollten das Recht haben zu bummeln (das Mittagessen kann die Mutter ja später warm machen), genauso wie Erwachsene! Nichtsdestotrotz finde ich es toll, dass sich Elizabeth Shaw dieses Wortes angenommen hat und mit der bummelnden Bettina eine schöne Identifikationsfigur für mich geschaffen hat. In diesem Sinne ein Hoch auf das Bummelantentum!

Elizabeth Shaw: Bettina bummelt. Mit Illustrationen von Elizabeth Shaw. Dritte Auflage. Der Kinderbuchverlag 2013. 9,90 Euro. ab 4 Jahren.

Heute kein Frühjahrsputz: „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame

wind in den weidenSo beginnt der wunderbare englische Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame, erschienen 1908, den ich euch unbedingt ans Herz legen möchte. Ich hatte damit in den letzten Tagen ein großes Lesevergnügen:

„Den ganzen Vormittag hatte der Maulwurf geschuftet: In seinem kleinen Haus war der Frühjahrsputz ausgebrochen. Zuerst mit Besen und Staubtuch, dann auf Leitern und Stühlen und drittens mit Pinsel und Tünche. […] Der Frühling rumorte oben in der Luft herum und unten in der Erde herum und rund um den Maulwurf herum. Er drang in sein dunkles und bescheidenes Haus und brachte seine eigenen Launen mit: die Unzufriedenheit der Götter und die Sehnsucht. So kann es nicht erstaunen, wenn der Maulwurf plötzlich den Pinsel zu Boden schleuderte, ‚Schwachsinn!‘ und ‚Mit  mir nicht!‘ sagte sowie ‚Zum Henker mit dem Frühjahrsputz‘ und aus dem Haus schoß ohne auch nur einen Mantel überzuziehen.“

Der Maulwurf wältzt sich dann auf einer Wiese. Er fühlt sich prächtig: „Sein Gewissen verhielt sich ganz ruhig: Es quälte ihn nicht und flüsterte ihm nicht ‚Tünche!‘ ins Ohr. Statt dessen fühlte er sich prächtig – als einziger Faulpelz unter diesen tüchtigen Mitbürgern. In den Ferien ist vielleicht nicht das Nichtstun am schönsten, sondern: das Anderen-Leuten-beim-etwas-tun-Zusehen.“

Der Maulwurf geht zum Fluss, den er noch nie zuvor gesehen hat: „Er bebte und bibberte, glänzte und glibberte und sprühte Funken, er rauschte und strudelte, schwatzte und blubberte. Der Maulwurf war bezaubert, verhext und angetan.“

Am Fluss lernt er die Wasserratte kennen, die beiden werden Freunde und erleben einige Abenteuer mit dem adligen Kröterich, der ein Faible für schnelle Autos hat und durch diese Schwäche in große Schwierigkeiten gerät.

Im Laufe der Geschichte werden die schönen Stellen, die im ersten Kapitel so leuchten und begeistern, weniger. Die zahlreichen Charakterstudien von Tieren und die Beschreibung ihres höflichen, oft konflikthaften, aber sehr freundschaftlichen Umgangs miteinander bereiten dennoch viel Vergnügen. Und immer wieder sind schöne, poetische Naturbeschreibungen mit zahlreichen Wörtern, denen man in der Alltagssprache selten begegnet, eingestreut, die eine große Freude an Natur und Beobachtung vermitteln.

Ich habe eine antiquarische Ausgabe von 1973, übersetzt von Harry Rowohlt, mit Bildern von John Burningham, dessen Zeichenstil mich sehr interessiert. Noch schöner sieht aber auch die Ausgabe vom Kein und Aber Verlag von 2004 aus, ebenso in der Übersetzung von Harry Rowohlt, mit Originalillustrationen von E.H. Shepherd, der auch „Pu, der Bär“ bebildert hat. Ein prachtvolles Buch, auch ohne Frühjahrsputz!

Kenneth Grahame: Der Wind in den Winden. Ein Roman für Kinder. Deutsch von Harry Rowohlt. Kein und Aber Verlag Zürich 2004. ab 8 Jahren. 24,80 Euro.

P.S.: Es gibt zahlreiche Adaptionen, Verkürzungen, Auszüge, Varianten und auch Verfilmungen. Die Literaturwissenschaftlerin in mir würde immer auf das ungekürzte Original zurückgreifen.

Noch mehr Nostalgie: Märchen und Geschichten auf Diarollfilmen

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Ein nicht unwesentlicher Aspekt im Leben mit Kindern besteht darin, dass man eigene Kindheitserlebnisse wiederholen kann. Und das gilt insbesondere auch für das Vorlesen von Geschichten, wovon hier im Blog ja schon oft die Rede war. Ein Erlebnis, das meine Kindheit stark geprägt hat, waren sonntägliche Kinoabende mit Märchen auf Diarollfilmen. Besonders wenn es abends … Weiterlesen

Aus einer anderen Zeit: „Der Star im Apfelbaum“ von Edith Bergner

Wie schon erwähnt, lesen wir gerade recht viel aus dem Band „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen“ vor. Zwei Geschichten daraus haben mich irgendwie fasziniert, auf eine recht ambivalente Art und Weise. Ihren Inhalt fand ich zuerst banal und zu pädagogisch. Ihre Sprache und Konstruktion aber hat mich bezaubert und berührt. Lustigerweise sind beide Geschichten von derselben Autorin, Edith Bergner. Die Geschichten heißen: „Vom Jochen, der nicht aufräumen wollte“ und „Der Star im Apfelbaum“.

Letztere von beiden Geschichten ist eine Frühlingsfabel – nicht gerade passend zur derzeitigen Jahreszeit, aber egal. Das Mädchen Babett erwartet sehnsüchtig den Frühling, der Star im Apfelbaum soll ihn wecken, schafft es mit seinem Lied aber nicht. Da soll er andere Lieder finden, die den Frühling bringen und der Vogel macht sich auf die Suche. Er lernt die Gesänge der Libelle, der Wildente, des Uhus und der Lachtaube kennen, doch den Frühling weckt er damit nicht. Zu seinem Entsetzen muss er entdecken, dass er bei der Suche sein eigenes Lied vergessen hat. Erst die Begegnung mit einer Starin bringt ihm seine Stimme zurück und damit erwacht dann auch der Frühling.

Die Lieder der einzelnen Tiere werden lautmalerisch wiedergegeben. Der Star singt: „Züp, züp, zie-züp, züp, zie, ich habe eine Nachricht für Sie! Der Frühling schläft im Apfelbaum. Züp, züp, witt, witt, wir wollen ihn wecken. Kommen Sie mit?“ Die Libelle antwortet: „Sü, sü, es ist noch zu früh.“ Daraufhin die Wildente: „Waak, waak, wir warten bis zum Donnerstag.“ Der Uhu faucht: „Bu-hu, lass mich in Ruh!“ Und die Lachtaube kichert: „Gri, gri, ci, ci, cheri!“ Diese Lautmalereien strukturieren die Geschichte und verleihen ihr viel Farbe und Poesie. Die recht einfache Tierfabel und Naturbeobachtung bekommt eine schöne und besondere Atmosphäre.

Ebenso verfährt Edith Bergner in „Vom Jochen, der nicht aufräumen wollte“. Das Spielzeug von Jochen, das kaputt und lieblos im Zimmer herum liegt, wird zum Leben erweckt und bekommt lustige Namen wie die Trommel Wummbummbommel oder das Kasperl Klabasterl. Und so tritt die sehr pädagogische Handlung der Geschichte in den Hintergrund und der Spaß an der Sprache wird geweckt.

Dieses poetische Vorgehen in den Geschichten hat mich so neugierig gemacht, dass ich ein paar Recherchen zur Autorin angestellt habe. Dabei bin ich aber nicht sehr erfolgreich gewesen, es gibt nur wenige Informationen zu Edith Bergner, keinen Wikipedia-Eintrag, nur ein Büchlein, eine Festschrift zum 70. Geburtstag, aus der DDR habe ich gefunden. Sie wurde 1917 als Tochter eines Bauern auf dem Land geboren und war in der ersten Hälfte ihres Lebens von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts direkt betroffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sie mit ihrer Mutter allein den heimatlichen Hof bewirtschaften und kann ihren kulturellen Interessen erst ab 1953 nachgehen, als sie nach Halle zog. In Halle war sie als Kulturfunktionärin sehr aktiv und setzte sich für jüngere Schriftstellerkollegen ein.

Leider habe ich mich noch nicht intensiv mit der DDR-Kinderliteratur auseinander gesetzt, so dass es mir schwer fällt, Edith Bergners Engagement für das DDR-Regime einzuschätzen. Die Frage aber, wie die eigentlich unpolitische und „harmlose“ Kinderliteratur mit Staatsinteressen verquickt war oder gegen sie gearbeitet hat, finde ich sehr spannend. Wenn es Gelegenheit dazu gibt, werde ich mich noch weiter damit beschäftigen.

Edith Bergner: Der Star im Apfelbaum. Mit Bildern von Ingeborg Meyer-Rey. In: Corinna Schiller (Hrsg.): Erzähl mir vom kleinen Angsthasen. Die schönsten Kindergeschichten der DDR. Beltz & Gelberg 2009. S. 225-235. ab 4 Jahren. Sammelband 14,95 Euro. Auch als Einzelband erhältlich.

Ein Sonntagsfrühstück mit Karlsson vom Dach: Das „Astrid-Lindgren-Kochbuch“ von Mamke Schrag und Andreas Wagener

Es ist Herbst, es gibt Äpfel, Kürbisse, Möhren und anderes Obst und Gemüse in Mengen, ich koche und backe gerade ganz gerne. Noch bin ich nicht unter die Food-Bloggerinnen gegangen … dafür habe ich aber eine Entdeckung gemacht, die Spaß am Kochen und Lesen genauso gut verbindet.

Beim Vorlesen der Astrid-Lindgren-Bücher „Immer dieser Michel“ und „Karlsson vom Dach“ gab es mehrere Momente, wo mir das Wasser im Mund zusammenlief, wegen der vielen leckeren Speisen, die genannt werden. Bei Festessen auf Katthult und Weckenschmäusen auf dem Dach wäre ich auch mal gerne dabei. Nun habe ich ein Buch gefunden, das die kulinarische Atmosphäre der Astrid-Lindgren-Bücher zu uns nach Hause holt und Rezepte aus Lönneberga, Bullerbü, der Villa Kunterbunt oder der Krachmacherstraße vorstellt. Eine herrliche Entdeckung!

Die Autoren des Rezeptbuches haben die in den Astrid-Lindgren Büchern erwähnten Rezepte gesammelt und die schwedischen Originalrezepte dazu ausfindig gemacht und niedergeschrieben. So entstand eine recht bunte Mischung aus süßen und herzhaften, alltagstauglichen Gerichten und Kuchen – mit einigen Fischrezepten und allem, was die schwedische Küche zu bieten hat. Wie Fischpudding schmeckt (als Michel aus Lönneberga bei Frau Petrell zu Besuch ist, wird dieser serviert), wollte ich immer schon mal gerne wissen. Zu den einzelnen Astrid-Lindgren-Werken gibt es kurze Einführungen. Zitate aus den Büchern leiten die Rezepte ein, so dass man sich gut erinnern kann, in welcher Situation das Gericht „eingesetzt“ wird.

So haben die Zimtwecken, die Karlsson so gerne stibitzt, schon unseren Frühstückstisch bereichert. Und der Apfelauflauf brachte mir ein Lob meiner Backkünste von unserem Sohn ein. Ganz so wie es im Buch heißt: „Als Nachtisch bekam er [Lillebroer] Apfelauflauf mit Vanillesoße. Da fing er allmählich an zu glauben, dass Fräulein Bock [die etwas griesgrämige Nachbarin] vielleicht doch nicht so übel sei.“

Mamke Schrag, Andreas Wagener: Das Astrid-Lindgren-Kochbuch. Verlag Friedrich Oetinger 2008. Für alle Altersstufen. 16,90 Euro.

Nochmal Japan: Erzählkunst

Neben den Eisenbahnbüchern machte mich meine Freundin in Japan noch auf ein weiteres kulturelles Phänomen aufmerksam, das in der japanischen Kinderliteratur und Populärkultur eine Rolle spielt und mich sehr fasziniert hat: das Kamishibai, japanisches Papiertheater.

Entstanden ist diese Form des öffentlichen Theaters zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Süßigkeitenverkäufer fuhren mit dem Fahrrad durch die Dörfer und Städte. Auf dem Gepäckträger war ein Holzrahmen befestigt, in die er die Geschichtstafeln einlegte und seine Geschichten vortrug. Mit einem Bühnenmodell aus Holz entsteht so eine angeleitete gesellige Form des Erzählens, in dem eine kindorientierte Geschichte in szenischer Abfolge von Bildern präsentiert wird. Die Vorstellung war jeweils kostenlos, den Unterhalt verdiente sich der Erzähler mit dem Verkauf von Süßigkeiten.

Mit der Einführung des Fernsehens verschwand diese Kunst des Erzählens. In Deutschland setzen es GrunschullehrerInnen und ErzieherInnen heute manchmal ein, um das Geschichtenerzählen zu fördern. Insbesondere Märchenerzählungen können so durch Bilder ergänzt werden. Es gibt auch bei uns Kamishibai-Rahmen und Bildkarten zu kaufen.

In Allen Says Geschichte „Kamishibai Man“ wird von einem alten Mann berichtet, der früher als Kamishibai-Erzähler seinen Lebensunterhalt verdiente. Er denkt voller Melancholie an sein früheres Leben und beschließt, noch einmal als Kamishibai-Erzähler in die Stadt zu fahren. Dabei macht er erstaunliche Entdeckungen. Leider wurde dieses Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt. Ich bin aber sehr neugierig darauf und werde es mir noch anschauen. Und außerdem würde ich sehr gerne mal ein Kamishibai ausprobieren. Aber damit warte ich lieber noch bis die Tage kürzer, die Abende länger und die Sonntage richtig verregnet werden …

Allen Say: Kamishibai Man. Houghton Mifflin Verlag 2005. ab 4 Jahren. 13,20 Euro.

Gute Taten: „Nimmerklug in Sonnenstadt“ von Nikolai Nossow

Zur Zeit beschäftige ich mich mit einem Helden aus meiner Kindheit. Ich habe das Buch „Nimmerklug in Sonnenstadt“ von Nikolai Nossow hervor gekramt und stöbere gerade darin. An die Geschichte konnte ich mich fast gar nicht mehr erinnern. Aber die Tuschezeichnungen, die den Text begleiten, gaben mir gleich ein warmes Gefühl von Vertrautheit. Außerdem fand ich die Überlegung spannend, welche Gedanken aus diesem Buch – das mir sehr, sehr, sehr oft vorgelesen wurde und ich schließlich selbst mehrere Male gelesen habe – mein Leben und meine Einstellungen beeinflusst haben. Und welche Ideen heute auch noch in Kinderbüchern vorkommen oder ob der Wechsel des Gesellschaftssystems – die Nimmerklug-Bücher sind 1954 erstmals in der Sowjetunion erschienen – sich auch in den Geschichten grundlegend bemerkbar macht. Zuerst einmal handelt es sich nämlich bei „Nimmerklug in Sonnenstadt“ um eine klassische Reisegeschichte: Der Held zieht aus, um ein Abenteuer zu bestehen und kehrt am Ende zurück.

Auf den ersten Seiten fiel mir aber schon ein zentrales Motiv auf, das in zeitgenössischen Kinderbüchern kaum noch begegnet: Der Held soll „gute Taten“ verbringen. Da musste ich gleich an einen Klassiker der DDR-Schullektüre denken, in dem der14-jährige Timur Garajew sich als Anführer einer Jungsbande um die Witwen und die Angehörigen von Frontsoldaten kümmert: „Timur und sein Trupp“. Spannend ist in „Nimmerklug in Sonnenstadt“, das der kleine Knirps reflektieren muss, was eine „gute Tat“ denn überhaupt ist. Seine Freundin Pünktchen berichtet ihm von einem Zauberer, der demjenigen einen Zauberstab schenkt, der drei gute Taten hintereinander vollbringt. Das Knifflige an der Aufgabe ist, dass der Prüfling nicht aus Egoismus und nur mit Ziel, den Zauberstab zu erlangen, handeln soll. So scheitert Nimmerklug auch bei seinen ersten Versuchen, seinen Freunden zu helfen. Seine Ungeschicklichkeit, die mir immer sehr sympathisch war, verhindert noch dazu, dass er seinem Ziel näher kommt. Erst als er die Aufgabe eigentlich schon wieder vergessen hat, gelingt es ihm, uneigennützig zu helfen.

Werden in Kinderbüchern selten „gute Taten“ thematisiert, so bietet das Internet eine Fülle von Möglichkeiten und Angeboten. Vor kurzem bin ich z.B. auf die Seite http://doonited.com/blog gestoßen, die eine „gute Tat“ pro Tag vorschlägt und dafür Punkte verteilt. So soll durch viele kleine „gute Taten“ die Welt verbessert werden. Dabei drehen sich die „guten Taten“ nicht wie beim kleinen Knirps Nimmerklug um die Hilfe bei der Arbeit oder kleine Aufmerksamkeiten gegenüber Freunden, sondern es geht oft darum, sich selbst etwas Gutes zu tun und dabei noch sein grünes Gewissen zu entlasten. Natürlich wird auch das menschliche Miteinander einbezogen, aber doch in einer sehr unkonkreten Art und Weise, wie z.B. „Verbringe eine Stunde deiner Zeit mit einer Person deiner Wahl.“ Wenn man die „guten Taten“ bei Nimmerklug und www.doonited.com vergleicht, so scheint gerade der Uneigennutz, der dem Knirps zu seinem Zauberstab verhilft, den entscheidenden Unterschied auszumachen. Damals dienten „gute Taten“ der Eingliederung in die arbeitende Gesellschaft, heute funktionieren „gute Taten“ als Wellness-Programm für gestresste Großstadtbewohner.

Nikolai Nossow: Nimmerklug in Sonnenstadt. leiv 2008. ab 6 Jahren. 14,90 Euro.

Ein rasantes Abenteuer im Kopf: „Peterchens Mondfahrt“ von Gerdt von Bassewitz, illustriert von Hans Baluschek

Dieser Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur hat mich umgehauen! Wie können so viele Ideen, Bilder und Einfälle auf so wenige Seiten passen? Die Geschichte von Peterchens und Anneliesens Mondfahrt nimmt es an Spannung und Effekten mit jedem Hollywood-Blockbuster auf. Beim Lesen hat das Kopfkino bei mir als erwachsener Leserin so viel zu tun, dass ich mich frage, wie das erst bei Kindern funktioniert? Aber der Reihe nach …

Zuerst einmal die Geschichte: Dem Maikäfer Sumsemann wurde ein körperlicher Defekt vererbt. Wie seinem Großvater fehlt ihm ein Bein. Die Nachtfee hat es aus Versehen in einen Zauber hineingezogen und nun liegt es auf dem Mond. Nur mit der Hilfe zweier artiger Kinder, die keinem Tier etwas zu leide tun, kann Herr Sumsemann sein fehlendes Bein wieder bekommen. In Anneliese und Peter findet der Maikäfer solche Musterkinder und damit beginnt das Abenteuer. Die drei fliegen zur Sternenwiese, fahren auf der Milchstraße zum Schloss der Nachtfee, reiten mit dem großen Bären zur Weihnachtswiese, kommen anschließend am Osternest vorbei und werden schließlich mit einer Kanone zum Mondberg geschossen, wo der Mondmann wohnt und dort sein Unwesen treibt. Nach einem dramatischen Kampf mit diesem Riesen, finden die Kinder das Bein und kleben es dem überglücklichen Maikäfer mit Spucke wieder an.

In 14 Kapiteln begegnen die Kinder im Himmel dem Sandmännchen, der Nachtfee, dem Donnermann, der Windliese, der Blitzhexe, dem Regenfritz, dem Sturmriesen, dem Hagelhans, der Frau Holle, dem Eismax, dem Wassermann, dem Taumariechen, dem Milchstraßenmann und zahlreichen anderen Himmelsgestalten. Die Figuren werden mit eigenen Liedern eingeführt, so dass die einzelnen Jahreszeiten, Wetter- und Himmelsphänomene mit schönen Erklärungen verknüpft werden. Der Kampf mit dem Mondmann am Ende ist sehr spannend und recht gruselig, dafür braucht man wirklich mutige Zuhörer. Ansonsten finde ich die Sprache aber trotz ihres Alters – das Buch erschien zuerst 1915, ein Theaterstück mit der Geschichte wurde schon 1912 aufgeführt (die Geschichte feiert also dieses Jahr ihren 100. Geburtstag!) – sehr lebendig und gar nicht schwerfällig. Die Gemälde von Hans Baluschek, die das Erzählte illustrieren, geben dem Märchen eine Patina, die seine Rasanz etwas einholt. Damit das Kino im Kopf nicht ganz verrückt spielt.

Gerdt von Bassewitz: Peterchens Mondfahrt. Illustriert von Hans Baluschek. Bassermann Verlag 2009. ab 6 Jahren. 6,95 Euro.

Albert Sergel: Nüsseknacken (um 1910)

Die Erinnerung an den Nikolaus ist noch recht frisch. Nüsse hat wohl fast jeder im Stiefel gefunden. Da passt das letzte Gedicht aus der Weihnachtslyrikreihe ganz gut.

Albert Sergel: Nüsseknacken

Holler, boller, Rumpelsack, // Niklas trug sie huckepack, // Weihnachtsnüsse gelb und braun, // runzlig, punzlig anzuschaun.

Knackt die Schale, springt der Kern: // Weihnachtsnüsse eß ich gern. // Komm bald wieder in mein Haus, // alter, guter Nikolaus!

Gustav Falke: Winter (um 1910)

Der Winter ist eigentlich noch nicht da – egal. Mit dem folgenden expressionistischen Gedicht wird eine etwas unheimliche Winterlandschaft lebendig. Vergnügliches Gruseln!

Gustav Falke: Winter

Ein weißes Feld, ein stilles Feld. // Aus veilchenblauer Wolkenwand // Hob hinten, fern am Horizont, // Sich sacht des Mondes roter Rand.

Und hob sich ganz heraus und stand // Bald eine runde Scheibe da, // In düstrer Glut. Und durch das Feld // Klang einer Krähe heisres Krah.

Gespenstig durch die Winternacht // Der große dunkle Vogel glitt, // Und unten huschte durch den Schnee // Sein schwarzer Schatten lautlos mit.