Ein tief bewegendes Buch zum Trösten: „Wie Niklas ins Herz der Welt geriet“ von Gert Scobel, illustriert von Ayano Imai

So schmerzhaft das Gefühl der Trauer sein kann: Für mich hat sie meistens auch etwas Schönes. Das beste Beispiel dafür ist das Buch „Wie Nikals ins Herz der Welt geriet“, ein wunderschöner Text mit dazu passenden Bildern über die Trauer eines Jungen, dessen Hund Lola gestorben ist.

Nichts kann Niklas mehr freuen. Die Spiele mit seinen Freunden machen nicht so viel Spaß wie früher. Er schläft schlecht. Niklas denkt viel nach und stellt Fragen. Ein Satz seiner Lehrerin geht ihm nicht aus dem Kopf: „Man sieht die Schönheit der Dinge immer erst, wenn sie weit weg oder verschwunden sind.“ Eines Tages trifft er im Park einen alten Mann, mit dem er ins Gespräch kommt. Beide fühlen sich in ihrer Trauer vereint, denn die Frau des Mannes ist gestorben.

So reden die beiden über ihre Erinnerungen und Gefühle. Der Mann kann Niklas eine wichtige Botschaft vermitteln: Wenn wir traurig sind, dann fühlen wir manchmal die Kraft des Lebens viel stärker. „Wir spüren dann all das, was uns nahe ist, und all das, was sich weit weg in unendlicher Ferne befindet. Und dabei geraten wir unmerklich ins Herz der Welt.“ Durch diese Botschaft erfährt Niklas, dass Trauer etwas ist, was zum Leben dazu gehört, das man sie annehmen kann und dann getröstet wird, sei es durch das Reden mit einem Menschen, dem es ähnlich ergeht oder durch einen Blick in den Sternenhimmel, der zeigt: „Es ist schön, so wie es ist.“

Gert Scobel / Ayano Imai: Wie Niklas ins Herz der Welt geriet. Berlin Verlag (Bloomsbury) 2008. ab 6 Jahren. 12,90 Euro.

Fabelhafte Wesen (zur Unterhaltung kunstbegeisterter Mütter): „Bilderbuch“ von Hanna Höch

Dieses Buch ist ein Schatz! Und dieser Schatz ist dieses Mal nicht für kleine Piraten, sondern eher für die Mütter der Seeräuber, die gerne träumen und sich mit Kunst beschäftigen.

Die Künstlerin Hanna Höch (1889-1978), die vom Dadaismus in den 1920er Jahren geprägt war und mit vielen verschiedenen künstlerischen Techniken arbeitete, stellte dieses Album mit 19 Collagen und Versen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Es zeigt eine fantastische Welt, die von märchenhaft exotischen Pflanzen und Tieren bevölkert ist. Einzelne Tiere werden in den Reimen mit ihren Schwächen und Eigenheiten, die menschliche Wesensmerkmale aufnehmen und kleine zwischenmenschliche Geschichten erzählen, vorgestellt, z.B. die „Rennquicke“:

„Den ganzen Tag ist sie in großer Eile / und man weiss nicht recht warum. / Doch ist sie es nicht aus Langeweile –/ es geht was in ihr um. / Ein wunderfeines Wollgenist / hält sie versteckt am Wiesenrain / das voller, voller Sorgen ist / – voll tausend kleiner Quickrennlein.“

So gibt es ein noch einige andere Mütterfiguren, aber auch alte Ehepaare, falsche Schlangen und einsame Vögel zu bestaunen. Spannend erscheint mir die Frage, warum die Künstlerin das Werk ausgerechnet „Bilderbuch“ genannt hat, wo diese Bezeichnung doch sehr an ein bestimmtes Genres erinnert. Für Hanna Höch stellte die Collagensammlung eine „Zweck-Arbeit“ dar, die „etwas Brot ins Haus bringen sollte“, so beschreibt es die Herausgeberin in der Neuauflage. Die Künstlerin bot das Buch verschiedenen Verlagen an. Die Bilder und Texte erschienen den Verlegern jedoch zu komplex. Es konnte erst 1985 in einer bibliophilen Ausgabe erscheinen.

Kinder kann man sich tatsächlich schwer als Zielgruppe vorstellen, wenn man das Buch durchblättert. Aber vielleicht hatte Hanna Höch noch eine andere Meinung von der kindlichen Bilderwelt und Auffassungsgabe als wir heute?

Hanna Höch: Bilderbuch. The green box 2008. 24,00 Euro.

Fliegen lernen: „Wolkenbrot“ von Baek Hee Na und Kim Hyang Soo

Fliegen ist faszinierend. Und hier kommt eine neue Art, es zu lernen! Man nehme: eine kleine Wolke, warme Milch und Wasser, Hefe, Salz und Zucker. Dann den Teig kneten, Brötchen formen und ab in den Ofen. Fertig sind die goldgelben, superleichten Wolkenbrötchen. Und wenn man diese isst, dann kann man fliegen! Durch die Stadt und den Regen, über den Verkehrsstau hinweg, zwischen Stromkabeln, auf denen die Spatzen sitzen, hindurch, zum 20. Stockwerk des Bürohochhauses, in dem der Papa arbeitet, auf die Dächer um dort ein Picknick zu machen.

Eine solche wunderbare Geschichte von zwei Kindern und ihrer Mutter, die die Wolkenbrötchen erfinden und damit ihrem Vater im Alltag helfen, erzählt das grandiose Buch „Wolkenbrot“. Neben der zauberhaften Idee mit den Wolkenbrötchen besticht es vor allem durch die ungewöhnliche Illustrationstechnik: Kleine gezeichnete Papierfiguren wurden in puppenstubenhaft anmutenden Umgebungen fotografiert. So wirken die Bilder echt und fantasiehaft zugleich. Wunderschöne Lichteffekte konnten aufgenommen werden. Man staunt über die kleinen und liebevollen Details, die die Küchenausstattung ausmachen. Zudem leuchtet das Bild sofort ein, dass man ein Stück Watte, welches eine Wolke darstellen kann, gut in einer Schüssel zu einem Teig verarbeiten kann.

In diesem Sinn empfehle ich an grauen, regnerischen Tagen die Zubereitung von Wolkenbrötchen!

Baek Hee Na und Kim Hyang Soo: Wolkenbrot. mixtvision Verlag 2009. ab 3 Jahren. 13,90 Euro.

„Ein Monat – ein Buch“: Frühjahrsneuerscheinungen

Der Eis-Winter hat sich wieder zurück gezogen, da wird es Zeit für einen Frühjahrsausblick. Deshalb habe ich die Kataloge von Verlagen mal durchstöbert und nach spannenden Titeln Ausschau gehalten. Mal sehen, ob sie halten, was sie versprechen …

Los geht‘ s Ende Januar mit einem Sachbuch:

Atelier Flora: Alles Farbe! Beltz&Gelberg Januar 2012. ab 4 Jahren. 13,95 Euro.

Und dann wird’s im Februar nass und fischig:

Martin Baltscheit, Ulf K.: Der Philosofisch. Bloomsbury Februar 2012. ab 4 Jahren. 8,95 Euro. und gleich dazu die Fortsetzung …

Martin Baltscheit, Ulf K.: Neues vom Philosofisch. Bloomsbury Februar 2012. ab 4 Jahren. 8,95 Euro.

Von den Fischen ist es nicht weit bis zu Seeungeheuern im März:

John Fardell: Der Tag, an dem Louis gefressen wurde. Moritz Verlag März 2012. ab 4 Jahren. 12,95 Euro.

Und zum Abschluss im April noch ein paar niedliche Vögel:

Germano Zullo: Wie die Vögel. Illustriert von Albertine. Carlsen Verlag April 2012. ab 4 Jahren. 12,90 Euro.

P.S. Die Altersangaben sind bei den Neuerscheinungen eher mit Vorsicht zu genießen.

Spaß in Eis und Schnee: „10 kleine Pinguine“ von Joëlle Jolivet und Jean-Luc Fromental

Bei den momentanen Kühlschranktemperaturen draußen wäre ich manchmal gern ein Pinguin, der perfekt an die eisigen Wetterverhältnisse angepasst ist. Ich mag die kleinen Herren im Frack, die so lustig watscheln. Vom französischen Autoren-Illustrations-Duo Joëlle Jolivet und Jean-Luc Fromental, dessen Bildersprache mich sehr beeindruckt, gibt es gleich zwei Bilderbücher, in denen Pinguine die Hauptrolle spielen. Im ersten mit dem Titel „365 Pinguine“ bekommt eine Familie am 1. Januar ein Paket mit einem Pinguin, der in einem Brief um Futter bittet. Am nächsten Tag kommt der zweite Pinguin, der um Hilfe fragt und so steht jeden Tag ein Pinguin mehr vor der Tür. Mit jedem neuen Besucher wird das Chaos in der Wohnung der Familie größer. Dieses Buch steht noch auf meinem Wunschzettel. Das riesige Format (36,2cm x 28,4cm) hat mich bisher ein wenig abgeschreckt, denn das passt nicht in unser Bücherregal …

Stattdessen habe ich das andere Pinguin-Werk besorgt: „10 kleine Pinguine“, ein Pop-Up-Bilderbuch, in dem die lustige Geschichte von 10 kleinen Frackträgern, die einer nach dem anderen der Gruppe abhanden kommen, in Reimen erzählt wird. Einer fällt ins Wasser, einer fährt mit einem Schiff davon, einer verirrt sich im Korallenriff usw. Dabei kann man durch Zieh- und Drehmechanismen das Verschwinden der Pinguine selbst in die Hand nehmen. Die kleinen Pop-Up-Bühnen sind sehr raffiniert aufgebaut und funktionieren wirklich prima, auch nach öfterem Hin- und Herschieben der Pfeile. Ein wenig stören mich die Reime, die die tollen Bilder begleiten.  In einigen Versen stimmt der Rhythmus überhaupt nicht. Wortneuschöpfungen wie „Sümpf“, was sich dann auf „fünf“ reimen soll, wirken bemüht. Leider habe ich das französische Original nicht, um zu überprüfen, ob die Reime auch dort so holpern. Die Übersetzerin Ebi Naumann hatte jedenfalls eine sehr schwierige Aufgabe zu bewältigen und für 10 süße kleine Pinguine nehme ich gerne die ungelenken Verse in Kauf.

Joëlle Jolivet und Jean-Luc Fromental: 365 Pinguine. Carlsen Verlag 2008. ab 5 Jahren. 16,00 Euro.

Joëlle Jolivet und Jean-Luc Fromental: 10 kleine Pinguine. Carlsen Verlag 2010. ab 3 Jahren. 14,90 Euro.

Herzlichen Glückwunsch zum 100. Geburtstag, Biene Maja!

Die Zeichentrickserie kennt wohl jeder, den Titelsong von Karel Gott auch. Aber woher kommen die Geschichten von der Biene Maja? 1912 erschien ein Kinderbuch des ehemaligen Missionskaufmanns, Verlegers, Vagabunden und Autors Waldemar Bonsels, der mit „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ einen sensationellen Erfolg erzielte. Fortan wurden die Bücher des Schriftstellers vor allem in den 1920er Jahren massenhaft verkauft.

Die Geschichte von der Biene Maja erzählt, wie das frisch geschlüpfte, neugierige und wissensdurstige Insekt sich gegen den Alltag der Honigbienen sträubt und die Welt kennen lernen möchte. Bei ihrem ersten Flug kehrt sie nicht in den Bienenstock zurück, nistet sich in einem Baumloch ein und begegnet verschiedenen anderen Insekten. Schließlich wird sie von Hornissen gefangen genommen, kann sich aber befreien und ihr Bienenvolk vor der Gefahr durch die Hornissen warnen.Der Überfall der Feinde kann durch Majas Warnung abgewehrt werden, die kleine Biene wird zur Beraterin der Königin ernannt.

Über die Qualität dieses Kinderbuchklassikers gibt es sehr kontroverse Meinungen: Viele Leser schätzen das Buch wegen seiner Poesie, den Naturbeschreibungen und seinem pädagogischen Wert, der darin bestehen soll, dass die Begegnungen der Biene Maja mit den anderen Insekten, Gefühle wie Angst, Trauer, Freundschaft, Neugierde sehr lebendig vermitteln. Andere Leser wiederum sehen diesen pädagogischen Wert skeptisch, denn die Geschichte des Ausbruchs der Biene Maja wird am Ende durch ihre Rückkehr in den Bienenstock und ihre Eingliederung in das Volk in sehr konservative Bahnen gelenkt. Außerdem strotzt das Buch, entsprechend seinem Entstehungszeitpunkt, vor nationalistischen Phrasen. In „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ würde angedeutet, wohin Waldemar Bonsels sich politisch entwickelte: Er schrieb 1943 einen antisemitischen Roman, mit dem er sich den Nationalsozialisten andienen wollte.

Diesem Generalverdacht gegen die „braune Biene Maja“, der von ihrem Autor abgeleitet wird, möchte ich mich nicht anschließen. Dennoch hatte auch ich einige Bedenken bei der Lektüre des „Klassikers“. Denn so zeitlos, wie diese Bezeichnung suggeriert, ist die Geschichte und Sprache des Buchs keinesfalls. Die Beschreibungen der Insekten, Wiesen, Blumen und der Landschaft vermitteln in der Tat einen poetischen Blick auf die Natur, den ich sehr schön fand. Die Dialoge zwischen den Protagonisten erscheinen mir aber schwer verdaulich: der Umgang der Insekten untereinander ist sehr förmlich, Rede und Gegenrede holpern oft, die verhandelten Begriffe und Konzepte sind kompliziert. Auf jeden Fall sollte man nicht von der Zeichentrickserie ausgehend darauf schließen, dass die Geschichten einfach zu verstehen und niedlich wären. Im Gegenteil: Es geht teilweise recht grausam zu und der lustige und gemütliche Freund von Maja, die Honigbiene Willi, wurde auch erst später für die Fernsehserie hinzugedichtet.

Mal kein Kinderbuch: „Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können“ von Susanne Gaschke

Da Kinderbücher ebenso Konsumgüter sind, wie z.B. Klamotten oder Spielzeug, genauso vermarktet werden und Kinder bzw. Eltern als Käufer finden sollen, hat mich das im letzten Herbst erschienene Buch „Die verkaufte Kindheit“ von Susanne Gasche sehr interessiert und ich möchte euch gerne von meinen Eindrücken beim Lesen berichten.

Eigentlich hatte ich mir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht für die objektive und unvoreingenommene Lektüre von „Die verkaufte Kindheit“: Zu Weihnachten, dem Konsumfest, an dem Spielzeuggeschenke eine wichtige Attraktion ausmachen, erscheinen konsumkritische Argumente und Gedanken noch viel plausibler als in den restlichen Monaten des Jahres.

So entfalteten die Thesen von Susanne Gaschke gut ihre Wirkung. Sie postuliert in ihrem Buch, dass die Kindheit heute schon mit 7 Jahren zu Ende geht, weil Kinder früh die Medien der erwachsenen Kommunikationsgesellschaft nutzen. Ein Zuviel an Konsumkultur behindert Kinder beim Spielen und in ihrer Entfaltung. Überdeterminisierte Spielzeuge (also solche mit zu viel Ausstattung, mit zu vielen Geräuschen und Effekten) lassen keinen Raum für Fantasie. Die Autorin beschreibt, wie Marketingexperten systematisch die Kaufkraft von Kindern abschöpfen möchten, wie „Kids“ in der Sprache der Werber zu Konsumenten gemacht werden und ihre natürliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit ausgenutzt werden soll. Marketing-Fachleute suggerieren, ihnen läge das Wohl der Kinder am Herzen, tatsächlich zählt natürlich nur der Umsatz

Dabei geht sie darauf ein, dass Eltern zwar die Hauptverantwortung für den Konsum ihrer Kinder tragen, dass aber nicht die ganze Verantwortung nur auf den Eltern lasten sollte. Susanne Gaschke fordert, dass über den Medienkonsum von Kindern breiter gesellschaftlich diskutiert wird und dass es kindgerechte Räume geben sollte, die werbefrei sind und nicht von Medien dominiert werden. Als wichtigstes Beispiel führt sie hierbei an, dass Schulen als Schutzzonen gegen Werbung und Marketing fungieren sollen und der Computereinsatz dort kritisch hinterfragt wird. Diese Forderungen finde ich sehr sinnvoll. Man könnte jedoch in dieser Richtung viel weiter gehen und noch konkretere Vorschläge machen, wie Werbeverbote im Umfeld von Kindersendungen. Und warum müssen auf allen Spielsachen diese Aufkleber mit „Fördert Geschicklichkeit, Konzentration etc. Ihres Kindes“ drauf sein? Können Spielsachen nicht einfach Spielsachen sein?

Die praktischen Hinweise, wie man als Eltern mit der Konsumkultur umgehen kann, die im Titel des Buches versprochen werden, sind sehr allgemein gehalten. Nichtkommerzielle Kinderkulturprojekte (Pfadfinder, Abenteuerspielplätze) werden vorgestellt, Bücher als Alternative zum exzessiven Medienkonsum empfohlen und Erziehungsmaximen wie „Kinderzimmer aufräumen“ und „Manieren einüben“ ausgegeben. Ich hätte mir da aber noch konkretere Tipps gewünscht wie z.B. für den Umgang mit Verwandten , die Spielzeug schenken, oder konsumorientierten Freunden in der Schule. So löst das Buch nicht ganz ein, was es verspricht und bedient sich der Logik, die es eigentlich kritisiert.

Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können. Pantheon Verlag 2011. 14,99 Euro.