Wenn Michael Ende noch am Leben wäre …: „Jim Knopf findet’s raus“ von Beate Dölling, nach Motiven von Michael Ende

jim knopf findets rausUnsere „Jim-Knopf- und-Lukas-der-Lokomotivführer“-Leidenschaft ist ungebrochen. Neulich bekam sie neues Futter durch einen Bibliotheksfund. Im Band „Jim Knopf findet’s raus“ nimmt die Autorin Beate Dölling den erklärenden Duktus der Original-Bände auf und erläutert in 24 Kapiteln Naturerscheinungen, auf mal mehr, mal weniger spannende Art und Weise. Jim Knopf bestürmt seine Freunde (Frau Waas, Alfons, der Viertel-vor-Zwölfte, Li Si, Herrn Ärmel) mit Fragen, wie z.B.: Brauchen Lokomotiven auch mal Ferien? Wie entstehen Vulkane? Und warum haben nicht alle Menschen dieselbe Hautfarbe?

Beim Nachdenken über dieses Buch schossen mir zahlreiche Fragen durch den Kopf: Wie hat Michael Ende eigentlich auf den Erfolg von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ reagiert? Zuerst wurde er ja angefeindet für seine Werke,. Aus diesem Grund sei er nach Italien gezogen, so ist bei Wikipedia zu lesen. Ob es Pläne für Fortsetzungen gab? Die Geschichte würde sich schon dafür eignen, finden mein Sohn und ich. Wir hätten auch schon einen Titel: „Die zwölf Unbesiegbaren“. Wie hätte Michael Ende auf die zahlreichen Spin-Offs aus seiner Geschichte, die im Moment auf dem Markt sind, reagiert?

Ein bisschen schade ist es schon, dass es keine Fortsetzungen von unserer Lieblingsgeschichte gibt – wiewohl ich die zahlreichen Serien, die den Kinderbuchbereich dominieren, eigentlich blöd finde. Vielleicht liegt ja darin gerade der Reiz der Figuren: Jim Knopf und Lukas sind einmalig und ihre Geschichte nutzt sich nicht ab durch das Kopieren und Ausschlachten in Fortsetzungen.

Nun müssen wir eben vorlieb nehmen mit einer bemühten Erzählerin, die zwar die Motive und Ideen von Michael Ende aufnimmt, an dessen erzählerischen Qualitäten aber bei weitem nicht heranreicht.

Michael Ende, Beate Dölling: Jim Knopf findet’s raus. Geschichten über Lokomotiven, Vulkane und Scheinriesen. Thienemann Verlag 2010. ab 6 Jahren. 14,90 Euro.

Statt fliegen: Bahn fahren!

leselokIm letzten Beitrag ging es ums Fliegen – heute ums Bahnfahren und das Vorlesen. Wir sind leidenschaftliche Bahnfahrer und haben schon tausende Kilometer in Zügen zurückgelegt. Das Vorlesen gehört immer dazu! Mein persönlicher Rekord liegt bei 60 Seiten aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ am Stück während einer fünfeinhalbstündigen Bahnfahrt.

Schon lange brennt mir deshalb ein Artikel über die „Leselok“, das Kindermagazin der Bahn, (hier ein Link zu einer älteren Ausgabe) unter den Nägeln, die wir seit ca. 1,5 Jahren kennen und die unser Sohn sich bei jeder Zugfahrt mit dem ICE im Bordrestaurant holen möchte. Im Restaurant gib es dann meist noch ein Geschenk dazu. Die Marketing-Strategie der Bahn funktioniert in diesem Fall allerbestens. Eis, Smoothies, Buntstifte oder eine Spielzeugeisenbahn haben schon manche Fahrt kurzweiliger gestaltet.

Die Texte in der „Leselok“ muss ich meist mehrere Male vorlesen und oft fand ich die Themen selbst auch ganz interessant: Wie wird ein ICE repariert und modernisiert? Welche Zugtypen gibt es? Was passiert bei den Zugüberprüfungen in den Eisenbahnwerkstätten? Da überdeckte meine Freude über den Wissenszuwachs das dumpfe Gefühl der Manipulation meines Kindes (die ich als Elternteil auszubaden habe, wenn mein Kind quengelnd im Supermarkt vor dem Smoothies-Regal steht).

In der letzten Ausgabe (02/2013 – Titel: „Bahn frei für Kinder“) wurde es mir dann aber ein bisschen zu viel: Im Artikel über die Zugbegleiterin ging es zu einem großen Teil darum, was man alles im ICE kaufen kann – es gibt nämlich jetzt ein Kindermenü im Bordbistro. Ich selbst habe noch nie etwas im Bordrestaurant gegessen – da schrillen bei mir alle Zu-Teuer-Alarmglocken auf einmal, das liegt außerhalb meines geistigen und finanziellen Horizonts. Im Zug hat man doch sein Proviant dabei! Und so kam ich mir reichlich merkwürdig vor beim Vorlesen und die Werbung fürs Kindermenü habe ich mit dem Arm immer abgedeckt, damit mein Sohn nicht auf „dumme Gedanken“ kommt.

Dafür machte die Leseprobe mir ausnahmsweise mal wirklich Lust auf ein Buch: „Sommer ist barfuß“ von Anna Herzog mit prima Illustrationen von Susanne Göhlich erschien mir witzig und interessant. Sehr schön fand ich auch den Comic mit dem kleinen ICE, den es zum ersten Mal gab. So kann es weitergehen mit der „Leselok“ – ohne zu viel Konsumierungs- und Eigenwerbung, die nervt. Denn eigentlich ist das Bahnfahren an sich ja schon schön genug, bei unserem Sohn muss man dafür keine Werbung mehr machen.

Unser Bücherparadies wäre … Japan: Jede Menge Eisenbahnbücher

Eine Freundin aus Frankreich lebt gerade in Japan. Sie hat sich in der dortigen französischen Community umgehört und eine Mutter getroffen, die von ihren Kinderbucherfahrungen erzählt hat. Hier ihr Bericht (mit fiktiven Namen):

Catherine und Pierre (6 Jahre) lesen meist französische Kinderbücher vor, obwohl Pierre  in den japanischen Kindergarten geht und bald die Grundschule in Kyoto besuchen wird. Für Catherine ist es schwierig, japanische Kinderbücher vorzulesen, weil es nicht ihre Muttersprache ist. Sie meint, wenn sie stottert oder stammelt, ist Pierre gleich nicht mehr am Buch interessiert. Trotzdem haben sie auch japanische Bücher in ihrem Regal, die ihnen gut gefallen. Und das sind – sehr zu unserer Freude – vor allem Eisenbahnbücher! Da das Zugsystem in Japan mindestens genauso gut ausgebaut ist wie in Deutschland, scheint dieses Genre dort recht weit verbreitet zu sein und die Ästhetik der Bücher gefällt mir sehr gut. Aber seht selbst, denn meine Freundin hat uns ein ganz tolles Exemplar geschenkt, von dem ich sehr begeistert bin:

でんしゃでいこう Densha de ikoo („Fahren wir mit dem Zug!“) von Masae Naokata (Hisakata Verlag, 2001) — ab 3 Jahren. Das Buch gefällt mir, ohne dass ich seinen Text kenne. Ich muss noch eine Japanerin / einen Japaner in Berlin finden, die / der uns das Buch übersetzt. Es kann in beide Richtungen gelesen werden und somit fällt nicht besonders auf, dass japanische Bücher eigentlich von hinten nach vorne gelesen werden. Das Buch imitiert eine Zugstrecke, der Zug fährt immer hin und zurück. Mein Sohn liebt diese Vorhersehbarkeit der Ereignisse und mag es außerdem sehr, Linien mit dem Finger nachzufahren, was bei diesem Buch sehr gut möglich ist. Catherine meint, dass der Text ziemlich einfach auf Japanisch vorzulesen ist, da es viele Lautmalereien wie „de-de-do-do“ gibt. Interessant ist übrigens auch, dass jeder Zug in Japan sein eigenes Geräusch macht – in Frankreich machen alle Züge „tchou-tchou“, in Deutschland „tsch-tsch-tsch“! Der Zug in dieser Geschichte fährt durch japanische Landschaften und die vier Jahreszeiten. Kleine Fenster sind aufgeschnitten für Tunnel! Die Tunneldurchfahrten strukturieren die Seiten und bereiten die Ausblicke auf die Landschaften vor. Die Landschaftsbilder erinnern an den berühmten, traditionellen japanischen Maler Hokusai. Die Figuren, die als Passagiere im Zug mitreisen, haben hingegen etwas Comichaftes im Stil von Hergé an sich. Mein Sohn und ich, wir hatten jedenfalls schon von viel Freude mit diesem japanischen Bücherschatz und meiner Meinung nach fehlt ein solches Buch auf dem deutschen Kinderbüchermarkt!

Catherine und Pierre haben noch weitere Zug- und Verkehrsbücher in ihrem Bücherregal, die ich euch auch gerne noch vorstellen möchte:

カンカンカンでんしゃがくるよ Kan-kan densha ga kuruyo („Kan-kan, hier kommt der Zug!“) von Mitsuo Tsuda (Shin Nihon Shuppansha Verlag, 1990) — ab 3 Jahren. Noch eine Zuggeschichte! Zwei Freunde, ein Elefant und ein Kaninchen stehen am Bahnübergang und verschiedene Züge (nochmal mit unterschiedlichen Geräuschen) fahren vorüber.

うみへいくピン・ポン・バス Umi eku ping-pong bassu („Die Ping-Pongs fahren nach Umi mit dem Bus“) von Fumiko Takeshita (Text) und Mamoru Suzuki (Bilder) (Kaiseisha Verlag, 2004) — ab 3 Jahren. Zum Schluss noch ein Verkehrsbuch, dieses Mal mit einem Bus als Transportmittel. Dieses Buch erzählt die Reise einer Familie (Eltern + 1 Sohn + 1 Tochter) zum Strand. Die Bilder sind nette Gemälde und der Bus fährt durch die Stadt und dann über Land.

Herzlichen Dank an Magali für die Vorstellung der Bücher und die Bilder! Der Bericht geht noch weiter. In den nächsten Tagen gibt es eine Fortsetzung zur japanischen Kinderliteratur.

Michael Ende schreibt nicht für Kinder (Teil 2)

Hier ist die Fortsetzung zum meinem Beitrag vom 12. Januar 2012 …

Eine zweite wichtige ideologische Grundlage von „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“, die Julia Voss in der Studie „Darwins Jim Knopf“ anreißt, stellt die Antroposophie von Rudolf Steiner dar. Michael Ende kannte dessen Lehre und besuchte eine Waldorfschule. Die oben genannte Studie bezieht die Verbindungen zur Antroposophie vor allem auf das Wissenschaftsverständnis, das Wissen mit Spiritualität zusammen denkt und wo der Glaube an die Macht der Phantasie stets präsent ist. Die beiden Jim-Knopf-Bücher sind phantastische Werke, in denen naturwissenschaftliche Beschreibungen und Erklärungen jedoch über den gesamten Text verstreut, zu finden sind. Wenn das „Tal der Dämmerung“ als enge Schlucht beschrieben wird, aus der der Schall keinen Ausweg findet, oder seltsame Erscheinungen in der Wüste als Fata Morganas und Luftspiegelungen erläutert werden, dann verbinden sich Phantasie und naturwissenschaftliche Erklärungsmuster.

Dieter Schütz / pixelio.de

Die Antroposophie scheint meiner Meinung nach aber nicht nur im Welt- und Wissenschaftsverständnis durch, sondern auch im Bild, das in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ von der Schule und vom Lernen gezeichnet wird. Der Drache Frau Mahlzahn betreibt in der Drachenstadt Kummerland eine Schule, in der entführte Kinder unter seiner Willkür und Gewaltherrschaft zu leiden haben. Diese Beschreibung einer Drachenschule bezieht sich auf die pädagogischen Einrichtungen im Nationalsozialismus. Zusätzlich wird traditionelles Lernen unter „Zwang“ jedoch auch grundsätzlich in Frage gestellt, und zwar durch die Hauptfigur Jim Knopf. Im 23. Kapitel kommt es zu einem Streitgespräch zwischen  Jim und seiner zukünftigen Verlobten Li Si, denn der Lummerländer, der bisher keine Schule kannte, möchte nicht lesen, schreiben und rechnen lernen.  Er muss erst von der Nützlichkeit dieser Fähigkeiten überzeugt werden. Die kleine Prinzessin hat eine mandalanische Schule besucht, wo selbstbestimmtes Lernen scheinbar möglich war. Trotz der Zweifel von Jim Knopf an der Notwendigkeit, lesen und schreiben zu können, wird im Buch durchgehend sehr offensichtlich thematisiert, wie wichtig Schrift ist, auch im Erscheinungsbild des Textes. Jim Knopf landet nur auf Lummerland, weil die Piraten die Adresse von Frau Mahlzahn zu krakelig und falsch geschrieben haben. Der Kaiser verbreitet seine Trauer über den Raub seines Kindes über ein Gedicht, das in Mandala überall zu lesen ist. Ohne Li Sis Flaschenpost wäre eine Befreiung aus der Drachenstadt nicht möglich gewesen.  Ob Jim Knopf lesen, schreiben und rechnen lernt, ist am Ende von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ noch offen. Ich bin mir aber sicher, dass in „Jim Knopf und die Wilde 13“ dieses Problem zu einem glücklichen Ende geführt wird.

Damit ist auch erst einmal die kleine Jim-Knopf-und-Michael-Ende-Serie im Blog beendet. Es wird wieder Zeit für Bilderbücher und weniger anspruchsvolle Literatur …

Michael Ende schreibt nicht für Kinder (Teil 1)

Michael Ende ist einer der bekanntesten Kinderbuchautoren in Deutschland. Seine Bücher wurden verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Auch die Literaturwissenschaft hat sich seinem Werk angenommen. Zu „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ sowie „Jim Knopf und die wilde 13“ habe ich mir eine interessante Studie von Julia Voss angeschaut, die das Verhältnis von Michael Ende zu Charles Darwins Evolutionstheorie beleuchtet. Ausgangspunkt ihrer Analyse ist die Feststellung, dass die Figur des Jim Knopf auf einen kleinen Jungen zurückgehen könnte, der Jemmy Button hieß. Er wurde bei einer Forschungsreise von Charles Darwin zusammen mit anderen Eingeborenen in Südamerika gefangen genommen und nach England gebracht wurde, um dort „zivilisiert“ zu werden.

Ausgehend von dieser Namensähnlichkeit zeigt Julia Voss, wie in den Jim-Knopf-Büchern die Lehren von Darwin und deren deutsche bzw. nationalsozialistische Variationen rezipiert und kritisiert werden. Demnach zeichnet Michael Ende in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ sowie „Jim Knopf und die wilde 13“ ein Gegenbild zur nationalsozialistischen Rassenideologie. Die beiden Bücher sind gespickt mit Details, die auf den ersten Blick phantastisch anmuten, sich aber bei näherem Hinsehen auf die Lebenswirklichkeit im Dritten Reich beziehen. Das auffälligste Detail stellt ein Schild dar, das vor der Drachenstadt Kummerland steht: „Achtung! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten.“ Und im Kapitel zuvor treffen Jim und Lukas auf den Halbdrachen Nepomuk, der sich darüber beklagt, nicht in die Drachenstadt eingelassen zu werden, weil seine Mutter ein Nilpferd war.

Die Geschichte der beiden Freunde, die ausziehen, um den Drachen Frau Mahlzahn zu besiegen und die kleine Prinzessin Li Si zu befreien, basiert auf der mythologischen Welt der Nibelungen und anderen Heldensagen, die im Nationalsozialismus in der Kinderliteratur eine wichtige Rolle spielten. Bei Michael Ende bekommt die Drachengeschichte jedoch eine freundliche Wendung: Frau Mahlzahn wird nicht getötet, sondern gefesselt. Aus Dankbarkeit gibt sie Jim und Lukas einen entscheidenden Hinweis zur Lösung eines wichtigen Problems. Sie verwandelt sich nach einem langen Schlaf in einen „Goldenen Drachen der Weisheit“.

Dieses Beispiel zeigt, wie in den Jim-Knopf-Büchern Elemente der nationalsozialistischen Ideologie aufgenommen werden. Trotz der positiven Wendung hinterlassen die oben erwähnten Details aber dennoch ein Unbehagen, denn zuerst einmal werden die Begriffe der Ideologie eingeführt. Die Geschichten versorgen Kinder mit Wörtern, die unnötig sind, z.B. „Neger“ oder „reinrassig“. Es stellte sich mir die Frage, ob diese Begriffe rassistisches Denken befördern, obwohl sie im Buch eigentlich anders intendiert sind. Leider geht die Studie von Julia Voss dieser Frage nicht nach. Um sie zu beantworten, müsste man eine Rezeptionsanalyse vornehmen, die in der Literaturwissenschaft meistens ausgespart wird.

– Fortsetzung folgt –

Julia Voss: Darwins Jim Knopf. S. Fischer Wissenschaft 2009.

Die wundersame Welt der Modelleisenbahnen: „Thomas, die kleine Lokomotive und ihre Freunde“ von Wilbert V. Awdry

Da unser Sohn ein großer Eisenbahnliebhaber ist, entsteht bei uns seit einiger Zeit eine kleine Sammlung von Büchern zu diesem Thema. So hatten wir zudem schon mehrfach Gelegenheit, einen Blick in die Welt der Modelleisenbahnen zu werfen, wo sich detailverliebte Experten und faktenversessene Perfektionisten tummeln, wie mir scheint. Die Beschreibung von und das Expertenwissen über Lokomotivtypen, Modellanlagen und Spurbreiten beeindrucken mich meist sehr.

Insbesondere bei der „Interpretation“ von Kinderbüchern äußert sich dieser extreme Einsatz für ein Hobby. Ich war erstaunt, als ich auf den Wikipedia-Artikel zu den Büchern „Thomas, the tank engine and his friends“ von Wilbert V. Awdry (auch genannt The Reverend W. Awdry) stieß. Ein schönes Beispiel für die Sammel- und Dokumentierungsleidenschaft von Modelleisenbahnfreunden, denn die Typen auf denen die Lokomotiven aus den Geschichten zurückgeführt werden können, werden genauestens identifiziert und kategorisiert. Die Kulissen der Fernsehserie, die nach den Büchern produziert wird, werden so exakt beschrieben, dass man die Welt von Thomas und die Insel Sodor, auf der die kleine Lokomotive und ihre Freunde arbeiten, nachbauen könnte.

Dabei finde ich die Modelleisenbahnästhetik, also das Aussehen einer realistisch wirkenden Welt im Miniaturformat mit Fachwerkhäusern, grünen Wiesen und Tannenwäldern, selbst sehr merkwürdig. In der Fernsehserie, die für neuere  illustrierte Bücher herangezogen wird, wird diese Ästhetik reproduziert und weiter getrieben. Die Lokomotiven mit Gesichtern und die „Herren von der Eisenbahngesellschaft“ aus Plastik stellen eine Welt dar, die künstlich und zugleich sehr arm an Fantasie daher kommt. Da erscheinen mir die Original-Illustrationen zu den englischen Büchern noch als ganz nett.

Durch ein englisches Original-Pop-Up-Buchvon 1984, mit den Illustrationen von 1957, das uns eine Freundin lieh, kam Thomas, die kleine Lokomotive, zu uns. Dabei machte das Buch uns Vorlesern schon ein paar Schwierigkeiten, denn unser Sohn wollte nach kurzer Zeit nicht mehr den englischen Text hören, sondern nur noch den deutschen. Dabei zeigten sich aber einige Übersetzungsprobleme zwischen uns beiden Vorlesern und es kam zu ständigen Verwirrungen ob wir z.B. „mine“ nun mit Mine oder Grube übersetzen sollten.

Nun verschlimmerte sich die Situation durch ein Mitbringsel: Eine deutsche Geschichte in der oben beschriebenen Modelleisenbahnästhetik. Auf der Insel Sodor kommt eine neue Lokomotive an, die zuerst von den anderen Loks wegen ihres besonderen Aussehens verspottet wird. Bei einem Unfall der kleinen Lok Percy kann sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und wird daraufhin von ihren Kollegen akzeptiert. Wie in der Geschichte im Pop-Up-Buch ist die kleine Lokomotive Percy hier auch ein Unglücksrabe und Pechvogel. Diese Festlegung des Charakters, die den Kosmos der Eisenbahngesellschaft auszumachen scheint, stört mich.  Die Lokomotiven sind noch dazu recht eindimensional beschrieben. Die Miniaturwelt bleibt so überschaubar, vorhersehbar und vermittelt Sicherheit. Eine Entwicklung der „Persönlichkeit“ von Percy oder anderen Loks scheint jedoch nicht vorgesehen zu sein, was mir irgendwie leid tut.

Vielleicht haben wir es mit „Thomas, der kleinen Lok“ noch ganz gut getroffen. Es könnte ja auch „Roary, der kleine Rennwagen“ oder „Bob, der Baumeister“ sein.

The Reverend W. Awdry: Ein neuer Freund für Thomas. Panini Books 2008.

The Reverend W. Awdry: Percy, the small engine takes the plunge. A pop-up book. The Windmill Press 1984.