Heute kein Frühjahrsputz: „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame

wind in den weidenSo beginnt der wunderbare englische Kinderbuchklassiker „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame, erschienen 1908, den ich euch unbedingt ans Herz legen möchte. Ich hatte damit in den letzten Tagen ein großes Lesevergnügen:

„Den ganzen Vormittag hatte der Maulwurf geschuftet: In seinem kleinen Haus war der Frühjahrsputz ausgebrochen. Zuerst mit Besen und Staubtuch, dann auf Leitern und Stühlen und drittens mit Pinsel und Tünche. […] Der Frühling rumorte oben in der Luft herum und unten in der Erde herum und rund um den Maulwurf herum. Er drang in sein dunkles und bescheidenes Haus und brachte seine eigenen Launen mit: die Unzufriedenheit der Götter und die Sehnsucht. So kann es nicht erstaunen, wenn der Maulwurf plötzlich den Pinsel zu Boden schleuderte, ‚Schwachsinn!‘ und ‚Mit  mir nicht!‘ sagte sowie ‚Zum Henker mit dem Frühjahrsputz‘ und aus dem Haus schoß ohne auch nur einen Mantel überzuziehen.“

Der Maulwurf wältzt sich dann auf einer Wiese. Er fühlt sich prächtig: „Sein Gewissen verhielt sich ganz ruhig: Es quälte ihn nicht und flüsterte ihm nicht ‚Tünche!‘ ins Ohr. Statt dessen fühlte er sich prächtig – als einziger Faulpelz unter diesen tüchtigen Mitbürgern. In den Ferien ist vielleicht nicht das Nichtstun am schönsten, sondern: das Anderen-Leuten-beim-etwas-tun-Zusehen.“

Der Maulwurf geht zum Fluss, den er noch nie zuvor gesehen hat: „Er bebte und bibberte, glänzte und glibberte und sprühte Funken, er rauschte und strudelte, schwatzte und blubberte. Der Maulwurf war bezaubert, verhext und angetan.“

Am Fluss lernt er die Wasserratte kennen, die beiden werden Freunde und erleben einige Abenteuer mit dem adligen Kröterich, der ein Faible für schnelle Autos hat und durch diese Schwäche in große Schwierigkeiten gerät.

Im Laufe der Geschichte werden die schönen Stellen, die im ersten Kapitel so leuchten und begeistern, weniger. Die zahlreichen Charakterstudien von Tieren und die Beschreibung ihres höflichen, oft konflikthaften, aber sehr freundschaftlichen Umgangs miteinander bereiten dennoch viel Vergnügen. Und immer wieder sind schöne, poetische Naturbeschreibungen mit zahlreichen Wörtern, denen man in der Alltagssprache selten begegnet, eingestreut, die eine große Freude an Natur und Beobachtung vermitteln.

Ich habe eine antiquarische Ausgabe von 1973, übersetzt von Harry Rowohlt, mit Bildern von John Burningham, dessen Zeichenstil mich sehr interessiert. Noch schöner sieht aber auch die Ausgabe vom Kein und Aber Verlag von 2004 aus, ebenso in der Übersetzung von Harry Rowohlt, mit Originalillustrationen von E.H. Shepherd, der auch „Pu, der Bär“ bebildert hat. Ein prachtvolles Buch, auch ohne Frühjahrsputz!

Kenneth Grahame: Der Wind in den Winden. Ein Roman für Kinder. Deutsch von Harry Rowohlt. Kein und Aber Verlag Zürich 2004. ab 8 Jahren. 24,80 Euro.

P.S.: Es gibt zahlreiche Adaptionen, Verkürzungen, Auszüge, Varianten und auch Verfilmungen. Die Literaturwissenschaftlerin in mir würde immer auf das ungekürzte Original zurückgreifen.

(Nicht-) Urlaubslektüre: „Viegelchen will fliegen“ von Joke van Leuuwen

viegelchenIn Berlin (und fast überalle anderswo auch) ist Ferienzeit, Urlaubszeit. Mein Sommerprogramm sieht leider keinen Urlaub vor. Aber irgendwohin fliegen würde ich schon gerne.

So wie Viegelchen, ein kleines vogelähnliches Wesen, das der Vogelbeobachter Warre eines Tages unter einem Strauch findet.  Er nimmt es mit nach Hause und seine Frau Tine beschließt, dass das Wesen bei ihnen wohnen soll und sie für es sorgen möchten. Viegelchen lernt sprechen und wenn sie einen weiten Mantel trägt, sieht man ihre Flügel nicht. Man könnte meinen, sie wäre ein Menschenkind. Doch eines Tages fliegt sie davon. Warre und Tine suchen verzweifelt nach ihr – finden auch eine Spur und treffen sie, um Tschüss und Lebwohl sagen zu können.

Ich mag diese Geschichte sehr, sehr gerne – nicht nur, weil ich die Autorin einmal persönlich kennen lernen durfte, in einer guten Zeit. Die Geschichte ist so schön einfach, klar und witzig erzählt. Beim Lesen fühle ich mich auch immer ein bisschen kribbelig, zum Davonfliegen und gleichzeitig zum Zurückkommen. Denn das Engagement mit dem sich vor allem Tine um das Viegelchen kümmert, hat etwas sehr Rührendes und ich fühle mich in meinen Muttergefühlen erkannt. Tine schafft es dann sehr gut, ihr Viegelchen fliegen zu lassen – mit einem richtigen Abschied und guten Wünschen für den weiteren Weg.

P.S. Das ist kein Abschiedspost für den Blog … Die Ideen für Beiträge fließen noch, in den nächsten Wochen ist auch etwas mehr Zeit zum Schreiben (ohne jetzt zu viel versprechen zu wollen).

Vorlesekapitulation?: „Urmel aus dem Eis“ von Max Kruse

Vor kurzem isurmelt der Kinderbuchklassiker „Urmel aus dem Eis“ zu uns gekommen und mutigerweise habe ich mich Hals über Kopf ins Vorlesen gestürzt. Und dann musste ich feststellen: Was für eine schwierige Aufgabe! Dieses Buch halbwegs adäquat vorzulesen, ist mir fast umöglich. Warum?

Hier der Hintergrund der Handlung: Auf der Insel Titiwu leben Professor Habakuk Tibatong, viele Tiere und Tim Tintenkleks glücklich und zufrieden. Das Schwein Wutz führt den Haushalt. Alle Tiere gehen freiwillig in die Sprachschule des Professors – doch alle haben ihre unverkennbare, individuelle Sprechweise. Der Waran Wawa lebt in einer Muschel am Strand von Titiwu. Er hat Probleme mit dem z und sagt stattdessen immer tsch. Ping, ein Pinguin, ist neidisch auf Wawas Muschel und möchte gerne auch eine haben. Sein Sprachproblem ist das sch; er sagt stattdessen pf – so streitet er sich mit Wawa um die „Mupfel“. Daneben gibt es Schusch, den Schuhschnabel, der ä statt dem i setzt. Außerdem ist da noch Seele-Fant, ein See-Elefant, der gerne und oft traurige Lieder singt. Wegen seines Sprachfehlers, statt einem i und e ein ö zu singen, klingt sein Lieblingslied so: „Öch weiß nöcht, was soll ös bedeuten …“

Diese individuellen Sprechweisen sind eine echte Herausforderung für mich als Vorleserin, sie verursachen mir Knoten in der Zunge. Ich habe das Gefühl, man muss den Tierstimmen einen bestimmten Klang geben, um ihre Sprache vorlesen zu können – ich bin allerdings nicht besonders begabt im Stimmen- und Spracheimitieren. Da ich zur Zeit Deutsch als Fremdsprache unterrichte, werde ich öfters nach deutschen Dialekten gefragt. Mein „Kölsch“, „Sächsisch“ oder „Bayrisch“ klingt dann aber immer sehr sehr ungelenk und noch irgendwie sehr hochdeutsch. Genauso geht es mir mit der Variation von Stimmen in Vorlesetexten. Alles klingt mehr oder weniger gleich und ich habe das Gefühl, ich stottere und stammle.

Dabei finde ich die Idee mit den Sprachfehlern sehr einleuchtend und kindgerecht. So können sich die kleinen Sprachlerner, die oft selbst noch manche Laute nicht standardsprachengerecht bilden, gut wiedererkennen. Und lustig sind diese Sprachfehler natürlich auch. Allerdings machen sie mir ein bisschen Probleme beim Verständnis der Geschichte. Vor lauter Zungenverknotung bekomme ich oft nicht mit, was denn eigentlich passiert im Text.

Daher habe ich mir mal eine Zusammenfassung gesucht, die ich euch nicht vorenthalten möchte: Eines Tages schmilzt ein angeschwemmter Eisblock und ein Urmel-Ei wird freilegt. Gemeinsam brüten die Tiere von Titiwu das Urmel aus. Leichtfertig teilt der Professor Habakuk Tibatong per Flaschenpost der Welt mit, dass es Urmels gibt. Das ruft König Futsch, der in der Demokratie eigentlich kein König mehr ist, auf den Plan. Er will das Urmel fangen und in sein Königreich tot oder lebendig bringen. Allerhand Aufregung und Turbulenz folgen.

Die Inhalte der Geschichte finde ich schon ganz spannend. Ein König, der eigentlich kein König mehr ist? Ein Forscher, dessen Forschungsergebnisse nicht anerkannt werden? Was hat das wohl zu bedeuten? Um diese Fragen zu beantworten, muss ich mich aber wohl noch einige Male durch die Sprachfehler durcharbeiten. Mal sehen, ob unser Sohn da mitmacht. Oder ob ich doch auf die Zeichentrickversion – oder auf die Augsburger Puppenkiste – oder auf ein Hörbuch mit Dirk Bach ausweiche?

Max Kruse: Urmel aus dem Eis. Thienemann-Verlag 1995. ab 8 Jahren. 9,95 Euro.

Welttag des Buches 2013

Zum Welttag des Buches habe ich bei einer Aktion meiner sehr fleißigen Blogkollegin von jungesbuch.de mitgemacht. Sie stellt heute pro Stunde ein Lieblingsbuch von befreundeten Bloggerinnen vor. Mein Tipp war um 17h dran – hier könnt ihr ihn euch anschauen. Viel Spaß beim weiteren Stöbern!

Der Frühling lässt auf sich warten – hier ein kleiner Trost: Lesung mit Sebastian Meschenmoser

herr eichhornEs ist schon zwei Wochen her, aber im lang anhaltenden winterlichen Grau zehre ich immer noch davon: von einer Lesung mit Sebastian Meschenmoser in der Buchhandlung nimmersatt in Berlin Kreuzberg. Der Autor stellte die Bilder und Geschichten von „Herr Eichhorn und der erste Schnee“ sowie „Herr Eichhorn weiß den Weg zum Glück“ vor. Außerdem erfüllte er die Bilderwünsche aller anwesenden Kinder (und das waren ziemlich viele) und zeichnete jede Menge Tiger, Leoparden, Hunde.

Die feinen Bleistiftstriche lassen die verschiedenen Tiere sehr lebendig werden und geben ihnen einen unverwechselbaren Charakter. Wenn ich draußen Eichhörnchen durch die Bäume hüpfen sehe, kann ich mir nun gut einen Herr Eichhorn vorstellen, der immer sehr neugierig, aber auch patent und voller Tatendrang die Dinge in die Hand nimmt. Die Illustrationen von Sebastian Meschenmoser haben meist eine sehr leichte und luftige Atmosphäre, so dass ich mich an den Frühling erinnert fühle, fast egal, um welches Thema es geht.

Glücklicherweise ist sein Zeichenatelier bei nimmersatt noch einmal geöffnet, nämlich am Samstag, 16. März um 16 Uhr. Wenn der Frühling bis dahin noch nicht bei euch aufgetaucht ist, in Berlin-Kreuzberg ist er an diesem Nachmittag wahrscheinlich in der Buchhandlung zu finden!

Sebastian Meschenmoser: Herr Eichhorn und der Mond. / Herr Eichhorn und der Besucher vom blauen Planeten. / Herr Eichhorn und der erste Schnee. / Herr Eichhorn weiß den Weg zum Glück. Alle erschienen bei Esslinger. Ab 4 Jahren. 9,95 Euro.

Eine Weihnachtsgeschichte mit viel Exotik: „Babar und der Weihnachtsmann“ von Jean de Brunhoff

In den letzten Tagen habebabar weihnachtsmann ich mir ein paar Gedanken über Weihnachtsbücher gemacht. Und dabei leider keine Ordnung in meine Gedanken bekommen. Ich hätte euch gerne eine Systematik präsentiert, aber die habe ich nicht  gefunden. Es gibt so viele Weihnachtsgeschichten und ich habe bisher nur eine Handvoll gelesen. So habe ich mich entschieden, mal zwei unterschiedliche Bücher vorzustellen, die das Spektrum der Weihnachtsgeschichten repräsentieren. Beide bedienen sehr unterschiedliche Geschmäcker und die „idealen Weihnachtsbücher“ sind sie für mich nicht unbedingt, sie bieten eher Stoff für Diskussionen.

Los geht’s mit einem sehr ausgefallenen, exotischen Buch und einer berühmten und umstrittenen Figur, nämlich Babar, der Elefant.

Einem breiten Publikum bekannt geworden ist der Elefant durch Fernseh- und Zeichentrickserien. Die erste Geschichte in Buchform erschien 1931 (L’histoire de Babar) in Frankreich und erzählt das Schicksal eines Elefantenwaisenjungen. Nach der Ermordung seiner Mutter durch Jäger landet Babar in einer Stadt. Dort nimmt ihn eine alte Frau unter ihre Fittiche und erzieht ihn wie ein Menschenkind. Als junger Mann kehrt er in den Urwald zurück. Da der alte König der Elefanten an einer Pilzvergiftung gestorben ist, nimmt Babar dessen Platz ein. Er macht seine Cousine Celeste zur Königin. Er gründet die Stadt Celesteville, wo die Elefanten nach dem Vorbild der menschlichen Zivilisation leben. Sieben Geschichten über den Elefantenkönig und seine Freunde schrieb Jean de Brunhoff bis 1941, später wurde die Serie durch seinen Sohn fortgesetzt.

In „Babar und der Weihnachtsmann“ hört der Affe Zephir von einem geheimnisvollen alten Mann, der Kindern Geschenke bringt. Er berichtet den Elefantenkindern in Celesteville davon und schlägt vor, diesen sogenannten Weihnachtsmann einzuladen. Leider bekommen die kleinen Elefanten keine Antwort auf ihren Einladungsbrief und so beschließt König Babar, sich auf die Suche nach dem Weihnachtsmann zu machen. Er fährt zuerst nach Paris und erfährt dort von einem Professor, dass der alte Mann mit dem weißen Bart in einem Ort namens PRIMNESTWE lebt. Babar macht sich auf die Reise dorthin und nimmt einen kleinen Hund mit, der gut schnüffeln und Spuren finden kann. Und tatsächlich findet  der Hund die richtige Spur und einige Bergzwerglein, die die Weihnachtshöhle bewachen. Durch einen dramatischen und gleichzeitig glücklichen Zufall landet Babar an seinem Ziel und er kann den Weihnachtsmann fragen, ob er ins Land der Elefanten mitkommen möchte. So ergibt es sich, dass der alte Mann einen Erholungsurlaub in Afrika unternimmt.

So exotisch diese Reise des Weihnachtsmannes anmutet, so ausgefallen erscheint das ganze Buch. Es kommt in einem großen Format daher, als Schriftart wurde eine Schreibschrift gewählt, eine Art Schulausgangssschrift mit französischen Buchstaben. Die sehr flächigen Illustrationen schaffen eine leichte und helle Atmosphäre, die sich stark abhebt von all den gemütlichen, anheimelnden, weich gezeichneten Bildern, die man sonst in Weihnachtsbüchern so findet. Gut gefällt mir dabei eine Doppelseite, auf der die Weihnachtshöhle mit viele Kammern und Aufzügen abgebildet ist.

Skeptisch bin ich, was die „Ideologie“ der Geschichte angeht. Es wird stark hervorgehoben, dass der Weihnachtsmann vor allem eingeladen wird, weil er Spielzeuggeschenke bringt. Zudem haftet den Babar-Geschichten ein bitterer Beigeschmack an, denn man kann ihnen durchaus den Vorwurf eines kolonialistischen Blicks machen. Der Elefantenkönig Babar bringt den armen Wilden in Afrika die Kultur aus Europa. Nun muss sogar der europäische und menschliche Weihnachtsmann das Fest der Elefanten bereichern. Da sollte ich mich mal noch nach einem Buch umschauen, in dem Weihnachtsbräuche aus verschiedenen Kulturen vorgestellt werden.

Jean de Brunhoff: Babar und der Weihnachtsmann. Diogenes Verlag 3. Auflage 2006. 19,90 Euro. ab 5 Jahren. 

Jetzt wird’s ziemlich dunkel: „Hans Huckebein“ von Wilhelm Busch, illustriert von Jonas Lauströr

Falls es noch Lücken auf eurem Wunschzettel gibt, habe ich heute einen besonderen Tipp für euch, d.h. für Eltern, die gerne über Bücher nachdenken, die sich von großartigen Bildern gefangen nehmen lassen, die Spaß an Wortspielen und hintersinnigem Humor haben.

Der Illustrator Jonas Lauströer hat auf wunderbare Weise Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Hans Huckebein, der Unglücksrabe“ interpretiert. Die Geschichte handelt davon, wie der kleine Fritz einen Raben fängt, ihn mit nach Hause bringt und wie das Tier dort große Verwüstungen anstellt. Die Kette von Missgeschicken, in die der schwarze Hans verstrickt wird, führt zu einem tragischen Ende. Das Original von Wilhelm Busch, erschienen von 1867 bis 1868, kommt dabei recht leicht daher und weist in seiner Bildsprache schon auf Comics hin. Der Rabe wirkt sehr ungeschickt und tollpatschig, er  scheint selbst schuld zu sein an seinem Schicksal.

In Jonas Lauströrs Bilderbuch wird das Tragische an der Geschichte betont. In seinen Zeichnungen wird großes Mitleid mit dem armen eingefangenen Tier sichtbar. Man sieht immer Furcht und Panik in den Augen des Raben. Der Text kann so gelesen werden, als würden die Unglücke nicht passieren, weil Hans bösartig ist. Reine Panik, Unwissenheit, aber auch eine gehörige Portion Neugier, führen zu Missverständnissen, Missgeschicken und Misshandlungen. Der Rabe verhält sich so ungehörig, weil er in eine ihm fremde Umgebung eingepflanzt wurde und weil die Kultur ihm sein Unglück vorgibt. Raben und Krähen gelten in der Literatur als Tiere, die Tod und Unglück bringen. Das Schicksal des armen Hans Huckebein ist ihm vorbestimmt, Vorurteile und Unterstellungen prägen seine Begegnung mit dem kleinen Fritz und seiner Tante.

So lässt sich die Geschichte sehr gut als Erzählung einer misslungenen Erziehung und Sozialisation lesen. Hans Huckebein, das Naturwesen, das gezähmt werden soll, macht diesen Prozess nicht mit. Er lässt sich nicht in die häusliche und künstliche Umgebung einpassen und kann nicht in das soziale Miteinander eingefügt werden. Dieser Prozess scheitert nicht, weil Hans ein böses und bockiges Kind ist, sondern weil das von ihm Verlangte nicht seiner Natur entspricht. Da der Rabe dem Knaben nicht vertraut und er mit einer List eingefangen wird, nimmt das Vorhaben seiner Erziehung schon einen schlechten Anfang, der unweigerlich auf ein tragisches Ende hinausläuft.

Diesem Ende gibt Jonas Lauströer eine poetologische Zusatzbedeutung, denn Hans Huckebein erhängt sich unfreiwillig in einem roten Faden. Somit passt der arme Rabe nicht einmal in eine stringente Erzählung hinein. Die Ordnung tötet den schönen Vogel. Die wuchtigen Bilder und die mutige Interpretation des Illustrators machen hingegen Sinn vom Anfang bis zum Ende. Die Geschichte von Hans Huckebein bekommt spannende neue Facetten und wird zum Leben erweckt – auch wenn ziemlich viel Blut und Blaubeersuppe spritzt.

Wilhelm Busch: Hans Huckebein. Mit Bildern von Jonas Lauströer. minedition 2010. ab 3 Jahren (Verlagsangabe, ich denke aber ab 6 Jahren wäre angemessener). 14,95 Euro.

Wie geht es weiter? Uwe Timm: Die Zugmaus

Dieses Buch habe ich im Verkehrsmuseum in München entdeckt, in der Eisenbahnabteilung, an einer Hörbuchstation. Die Geschichte passt perfekt zu uns: Es geht ums Reisen. Wir fahren genauso gerne Zug wie die kleine Maus Stefan. Eines ihrer Reiseziele ist Paris, zu dem ich auch eine besondere Verbindung habe, da ich mal einige Zeit dort gelebt habe. Zwar habe ich eine kleine Mäusephobie, so dass ich mich erst an die Helden gewöhnen musste. Aber das Buch vermittelt viel Verständnis für die kleinen Nager und vielleicht kann ich so meine Abneigung noch überwinden.

Ich war sehr gespannt auf die Geschichte und habe mich aufs Vorlesen gefreut. Nun werde ich aber leider arg auf die Folter gespannt. Unser Sohn bekam nämlich im Laufe der ersten Kapitel Angst vor der Idee, dass eine kleine Maus ohne ihre Eltern, also mutterseelenallein, durch die Welt reist. Seither darf ich nur die ersten und letzten Kapitel vorlesen. Ganz, ganz langsam arbeiten wir uns voran und in Paris sind wir noch lange nicht. Schade, denn ich würde gerne mal wieder – wenn auch nur in Gedanken – einen Ausflug in die französische Hauptstadt machen ….

Dafür kennen wir aber schon die Wiedersehensfreude am Ende, wenn die Zugmaus ihre Eltern wiederfindet. Und das Vorlesen macht auch so Spaß, denn man lernt durch das Buch viele Orte und Länder kennen – auch sprachlich, denn die Figuren sprechen teilweise Dialekt. Unser Sohn versucht sich nun in Schweizerdeutsch, das eine Reisebekanntschaft spricht und ich mehr schlecht als recht vorgelesen habe. Im Zusammenspiel mit den englischen Durchsagen der Deutschen Bahn, die mein Zuhörer mit Leidenschaft nachzusprechen versucht, gibt das ein ganz schönes Kauderwelsch.

Uwe Timm: Die Zugmaus. dtv junior 2003. ab 4 Jahren. 7,20 Euro.

Urzeitroboter 6. Teil: „Sieben Hamster“ von Alexis Deacon und Viviane Schwarz, übersetzt von Michael Gutzschhahn

Ich mag das „Hänschen-klein-Motiv“, also Geschichten, die vom Verlassen eines alten Zuhauses und dem Aufbruch in einer neue Welt handeln, sehr gerne. Und diese hier gefällt mir besonders gut. Der Untertitel fasst schon die Handlung zusammen: „Wie wir das Meer überquerten, den Berg bestiegen, die Wüste überlebten – und ein neues Zuhause fanden.“ Den kleinen Hamstern ist nämlich ihr dunkles Loch, in dem sie bisher gelebt haben, zu eng geworden. Bei ihrer Suche nach einem neuen Zuhause müssen sie einige Gefahren bestehen, werden am Ende aber mit einem wunderbaren neuen Zuhause belohnt.

Die Komik des Buches besteht in seiner Form und den Situationen, in die die kleinen Helden geraten. Die Geschichte ist comicartig gestaltet. Die Hamster haben eigene Stimmen, die in Sprechblasen eingefügt sind. Auf einer Doppelseite springen sie wie kleine Teenage Mutant Heroe Turtles durchs Bild. Dabei ist die Comic-Ästhetik aber nicht aufdringlich. Die Illustrationen bleiben klar und übersichtlich, sind nicht überfrachtet. Beim Vorlesen ist der Comicstil recht gewöhnungsbedürftig, weil man keine lineare Geschichte einfach so „runterliest“. Dafür hat es aber auch seinen Reiz, denn jeder kleine Hamster bekommt eine Stimme. Es werden verschiedene Perspektiven auf die einzelnen Situationen vermittelt. Und die drolligen, zuerst ängstlichen, etwas ungeschickten, dann aber sehr mutigen Hamster fanden wir sehr lustig.

Mein Fazit: Die Geschichte von den kleinen Hamstern macht Mut. (plus) Der Comic-Stil, in dem das Bilderbuch gestaltet ist, ist innovativ und zeigt sehr gut die komischen Situationen, in die die kleinen Helden geraten. (plus)

Alexis Deacon und Viviane Schwarz: Sieben Hamster. Wie wir das Meer überquerten, den Berg bestiegen, die Wüste überlebten – und ein neues Zuhause fanden. Gerstenberg Verlag 2011. ab 3 Jahren. 12,95 Euro.

Urzeitroboter 3. Teil: „10 kleine Schafe“ von Franziska Gehm und Marina Rachner

Das nächste Buch auf der Nominierungsliste des „Urzeitroboters“ passt sehr gut in meine Überlegungen zum Blog. Es ist in Reimen geschrieben und über gereimte Bilderbücher denke ich schon länger nach.

Seit dem Erfolg des „Grüffelo“ scheint es ein Muss für erfolgreiche Werke in diesem Bereich zu sein, Geschichten in Verse zu verpacken – ohne lyrisch zu sein. Dabei finde ich die Inflation des Reimens ein wenig nervig, denn oft genug funktionieren die Verse nicht besonders gut. Der Rhythmus holpert, hässliche Wörter und Lautmalereien müssen Lücken büßen, die Geschichten verschwinden hinter der unbedingt gewollten Melodie.

Bei „10 kleine Schafe“ funktionieren die Reime jedoch ganz gut. Das Buch greift das vielfach verwendete Zehner-Motiv auf, um Kinder an das Zählen, kombiniert mit der Herausstellung von Farben, heranzuführen. Auf jeder Seite wird ein Schaf mit einer bestimmten Aktivität zu einer Gruppe hinzugefügt. Am Ende trennt sich das Schafgespann wieder und die Individualität jedes Tiers wird noch einmal hervorgehoben, um die Geschichte von vorn beginnen zu lassen.

Einige Reime bestätigten ansatzweise meine Vorurteile gegenüber diesem Bilderbuchprinzip, brachten mich aber auch zum Nachdenken über die Funktionsweise gereimter Bilderbücher, z.B. dieser: „Es waren mal 6 Schafe. Das 6. Schaf war pink. // Sein Lieblingsspiel war Bocksprung, denn es sprang weit und flink. // Mit großem Anlauf und viel Schwung, im schnellen Schafsgalopp, // sprang es über jedes Schaf, hü-hüpf, hü-hepp, hü-hopp.“

Ich fragte mich, was Kinder wohl mit dem Wort „Bocksprung“ anfangen? Oder „Schafsgalopp“? Da kommen dann die Illustrationen ins Spiel. Sie zeigen ja die Situation, zu der die Worte passen und so erschließt sich auch das Wort „Bocksprung“. In der Kombination von Text und Bild wird dann das lustige Potential von „10 kleine Schafe“ deutlich: Die Protagonisten sind sehr fröhlich, lachen viel, haben Spaß bei ihren Aktivitäten. Die Farben der Bilder sind sehr angenehm fürs Auge. Die Reime unterstützen den Eindruck des Spielerischen, der dem ganzen Buch anhaftet. Und so erklärt es sich, dass unser Sohn, der normalerweise recht sparsam mit wertenden Kommentaren umgeht, tatsächlich äußerte: „Mama, das ist lustig!“ – ohne dass ich eine Wertung durch Lachen oder das Verstellen der Stimme vorgegeben hätte.

Mein Fazit: „10 kleine Schafe“ spricht Kinder durch einen sehr spielerischen Eindruck perfekt an. (plus) Der Humor ist hier fröhlich, bunt, hell, freundlich. (neutral) Das Buch greift auf viele bewährte Rezepte zurück. (neutral) Es erschien 2011 in der zweiten Auflage. (neutral)

Franziska Gehm und Marina Rachner: 10 kleine Schafe. Von 1 bis 10 im Schafumdreh’n. Loewe Verlag 2011. ab 2 Jahren. 7,95 Euro.