Noch ein Monstermädchen: „Marie und die Nachtmonster“ von Marjane Satrapi

Während das Mädchen Carola aus Kurt Krömers und Jakob Heins „Gute Nacht, Carola“ mich ziemlich genervt hat, bin ich sehr begeistert von der kleinen Marie aus „Marie und die Nachtmonster“ von Marjane Satrapi. Die iranische Autorin und Zeichnerin kannte ich durch ihren beeindruckenden Comic „Persepolis“, der 2004 Furore machte. Ihr Kinderbuch ähnelt mit seinen einfachen und klaren Strichen den Comic-Bildern, ohne dabei ebenso düster zu wirken. Die Nachtmonster sind sehr schelmisch gezeichnet. Ein Katzenkönig aus der Geschichte erinnerte mich an ein „Kultbuch“ aus meiner Kindheit: „Das Katzenhaus“ von Samuil Marschak und Erich Gürtzig.

Maries strahlende Augen nehmen den Betrachter rasch gefangen. So sympathisch wie ihr Gesichtsausdruck ist auch ihre Geschichte erzählt. Marie fürchtet sich vor den Nachtmonstern. Um dieses Problem zu lösen, schneidet sie den Mond aus, sperrt ihn in einen Käfig und bewahrt sein Licht in ihrem Zimmer auf, denn die Monster kommen nur in der Dunkelheit. Ohne Mondlicht können die Katzen jedoch keine Mäuse mehr jagen und die Ratten übernehmen die Herrschaft in der Stadt. Der Katzenkönig sucht gemeinsam mit Marie eine Lösung, die die beiden auch finden, die hier aber nicht verraten werden soll. Besonders imponiert hat mir an der Geschichte der kleinen Marie, das sie zuerst ihr Monster-Problem allein löst, dann aber auch bereit ist, sich helfen zu lassen, als sich herausstellt, das ihre Lösung Nachteile für andere hat. Diese Heldin, die ihre Ängste nicht wegquatscht, ist mir viel lieber als ein Mädchen, das mit ihrer angeblichen Furchtlosigkeit ihre Umwelt in Angst und Schrecken versetzt.

Marjane Satrapi: Marie und die Nachtmonster. Bloomsbury Verlag 2007. ab 4 Jahren. 12,90 Euro.

Monstermädchen: „Gute Nacht, Carola“ von Jakob Hein und Kurt Krömer, mit Bildern von Manuela Olten

An den Themen „Monster“ und „Gutenachtgeschichten“ kommt man bei Bilder- und Vorlesebüchern nicht vorbei, die Geschichten füllen Regale. In der letzten Zeit werden öfters Mädchen mit nächtlichen Monsterbesuchen konfrontiert, z.B. in „Gute Nacht, Carola“ oder „Marie und die Nachtmonster“ (das ich in einem späteren Beitrag vorstellen möchte). Endlich bekommen sie auch das Recht, sich gegen die bösen Geister aus der Dunkelheit zu wehren. Leider wirkt die Heldin aus „Gute Nacht, Carola“ dabei etwas angestrengt. Ob es am ziemlich altmodischen Namen „Carola“ liegt? So heißt doch heutzutage kein Kind …

Carolas hervorstechende Eigenschaft ist jedenfalls die Furchtlosigkeit, wie im Bilderbuch ausführlich erläutert wird. „Carola fand, wer sich nicht fürchtet, hat mehr Zeit zum Spielen“. So viel Selbstbewusstsein ist beeindruckend. Doch in einer Nacht ist plötzlich alles anders, denn ihr Bruder schläft auswärts und der Vater ist verreist – da fehlen wohl die männlichen Beschützer. Carola kann nicht schlafen und eine tiefe, grauenvolle Stimme ruft aus der Dunkelheit nach ihr. Unter ihrem Bett entdeckt sie ein Monster, dem sie mit viel Courage begegnet. Das „Wesen“ und das Mädchen verwickeln sich in eine Diskussion über das „Böse“. Carola redet im weiteren Verlauf das arme Monster in Grund und Boden, bis es nicht mehr böse sein möchte, sondern sich friedlich unters Bett legt.

Carola erinnert mich an eine ziemlich verbissene, neunmalkluge Emanze, die ihre Umwelt nervt und es schafft, den letzten Geheimnissen ihre Würde zu nehmen. Ob das ein Kommentar der Autoren zum Feminismus sein soll? Trotz dieser unangenehmen Heldin und ihrer wenig überzeugenden, seltsamen philosophisch angehauchten Konversation mit dem Monster, beeindrucken in „Gute Nacht, Carola“ der originelle Bildaufbau und die liebevollen Details in Manuela Oltens Illustrationen. Die Seite, auf der Carola Grimassen schneidet, weil sie nicht schlafen kann, ist großartig.

P.S.: „Gute Nacht, Carola“ sollte mein Weihnachtsgeschenktipp werden. Da mir das Buch dann noch nicht so gut gefiel, wollte ich es nicht ohne Weiteres empfehlen.

Jakob Hein, Kurt Krömer: Gute Nacht, Carola. Mit Bildern von Manuela Olten. Carlsen Verlag 2010. ab 4 Jahren. 14,90 Euro.

Unsinnspoesie mit verknoteter Zunge: Eugène Ionescos „Geschichte Nummer 1“

Dieses Buch ist eine Herausforderung für Vorleser – aber eine sehr lustige! Der in Rumänien geborene und nach Frankreich emigrierte Theaterschriftsteller Eugène Ionesco (1909-1924) hat eine kleine Reihe von Kinderbüchern geschrieben, die in den meisten Werkverzeichnissen nicht genannt sind, aber großartige kleine Kunstwerke darstellen.

Die „Geschichte Nummer 1 – „für Kinder unter drei Jahren“ – zuerst erschienen 1967, illustriert von Etienne Delessert, beginnt mit einer für Eltern gut bekannten und öfters erlittenen Situation. Die kleine Josette weckt ihre Eltern auf. Diese waren am Abend vorher im Theater, in einem Restaurant und in einem Nachtclub. Dementsprechend sind sie müde und genervt. Zuerst kann noch die Haushälterin Jacqueline helfen und ablenken, aber dann hilft es alles nichts: Der Papa soll eine Geschichte erzählen. Im Halbschlaf beginnt der Vater zu erzählen:

„’Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Jacqueline.‘ ‚Wie Jacqueline?‘ erkundigt sich Josette. ‚Ja, sagt Papa, ‚aber es war nicht Jacqueline. Jacqueline war ein kleines Mädchen. Es hatte eine Mama, die Frau Jacqueline hieß. Der Papa der kleinen Jacqueline hieß Herr Jacqueline. Die kleine Jacqueline hatte zwei Schwestern, die alle beide Jacqueline heißen, und ….“

So setzt sich die Erzählung über fünf Seiten fort, wird kurz unterbrochen durch die Haushälterin, die die Tochter zum Einkaufen mitnimmt, und wird dann fortgesetzt als Josette ein kleines Mädchen names Jacqueline trifft und von der Familie Jacqueline erzählt. So taucht im ganzen Buch 48mal der Name „Jacqueline“ auf.

Nach der Lektüre dieser Geschichte hat man als Vorleser wahrlich einen Knoten in der Zunge von den häufigen Wiederholungen. Aber dank der schönen Illustrationen ist man eingetaucht in eine Welt voller kleiner Geschichten und Fabelwesen. Außerdem wird man ein bisschen über morgendliche Erschöpfungszustände hinweg getröstet. Denn auch eine Haushälterin in einer großbürgerlichen Familie, die das Frühstück ans Bett bringt, kann diese anstrengende Situation nicht retten. Wann war ich bloß das letzte Mal – an einem Abend – im Theater, im Restaurant und im Nachtclub?

Nebenbei erfährt man durch die „Geschichte Nummer 1“ auch etwas über das Geschichtenerzählen an sich: Hinter Namen und Wörtern verstecken sich oftmals Geschichten. Das zeigt auch das Cover des Bilderbuchs: Hier sieht man eine große Eins. Aus einem Fenster winkt Josette und im Hintergrund sind Mitglieder der Familie Jacqueline zu sehen. Die Eins ist ein Wort, ein Haus, ein Zeichen: Dahinter verbirgt sich eine ganze Welt. Und die kann ganz schön verrückt sein. Zumindest findet die Haushälterin, dass der Papa verrückte Geschichten erzählt. Aber der war ja einfach nur müde.

Ich freue mich schon auf die „Geschichte Nummer 2“. Leider muss ich noch ein bisschen suchen, denn beide Bücher werden nicht mehr aufgelegt und der zweite Band scheint noch seltener zu sein als die „Geschichte Nummer 1“. Ich warte jedenfalls auf einen akzeptablen Preis für das antiquarische Buch. Oder auf Weihnachten …

Eugène Ionesco: Geschichte Nummer 1. Friedrich Middelhauve Verlag 1969. ab 3 Jahren. Wird nicht mehr aufgelegt, nur antiquarisch erhältlich.