Kinderbuchstars auf der Leipziger Buchmesse

DSCN0301„In Leipzig liegen die Autoren nicht in den Regalen, sondern sie laufen davor herum.“ So eröffnete der Moderator André Gutzschahn vom MDR die Aufzeichnung der Sendung Figarino, in deren Ausgabe vom 16. März die neuesten Bücher der Kinderbuchstars Martin Baltscheit, Ben Becker, Paul Maar und Sven Nordquist (in alphabetischer Reihenfolge) vorgestellt wurden. Nachzuhören soll die Sendung im Internet sein (www.figarino.de) – leider habe ich sie noch nicht gefunden.

Die Autoren lassen kurze Ausschnitte aus ihren Werken, Kinderreporter stellten Frage, die sich meist um das Verhältnis zwischen den Figuren in den Texten und ihren Schöpfern drehten. Verblüffend war dabei die tatsächliche Ähnlichkeit zwischen dem Auftreten der Autoren und ihren Kinderbuchhelden. Die Schöpfer schienen perfekt zu ihren Figuren zu passen. Sven Nordquist wirkte wie die Verkörperung des ein wenig müden, zuerst mürrischem Alten, der durch sein Lächeln aber Wärme und viel Verständnis ausstrahlt. Paul Maar gab selbst den Hinweis auf Herrn Taschenbier aus den Sams-Geschichten – ein zurückhaltender grau-melierter älterer Herr, der sich bescheiden mit den Worten einführt, er sei ja nur ein Autor.

DSCN0296Mit dieser Bemerkung ging er auf den Unterschied zu Ben Becker, der sich neben der Schauspielerei nun auch dem Verfassen von Kinderbüchern widmet, und Martin Baltscheit, der nicht nur schreibt, sondern auch illustriert und Hörbücher einspricht. Seine Vorstellung des Hörbuchs „Zorgamazoo“ von Robert Paul Weston begeisterte mich sehr. Es ist der 288 Seiten lange gereimte Roman von der tapferen Katrina Katrell und ihrem Freund, dem Zorgel Mortimer, die aufbrechen, um die verschollenen Einwohner der Stadt Zorgamazoo zu suchen.  Die Wandlungsfähigkeit und der Ausdruck in Martin Baltscheits Stimme brachten die Reime der Geschichte zum Leuchten. Und genauso großartig las er auch die neuste Geschichte aus seiner eigenen Feder vor – ein Bilderbuch mit dem Titel „Das Gold des Hasen“.

Marketingtechnisch geschickt ging Martin Baltscheit dann in seinem Interview auf die Frage, wie er zum Schreiben gekommen ist, auf die Bedeutung seiner Mutter für die Liebe zur Literatur ein: Er wollte als kleiner Junge seiner Mutter, die sehr gerne las, Lesenachschub verschaffen und habe darum selbst angefangen, Geschichten zu schreiben und zu zeichnen. Ben Becker antwortete ähnlich in seinem Interview. Wie gut, dass Mütter so viele Bücher kaufen und für rührende Geschichten empfänglich sind. Und so werde ich demnächst wahrscheinlich ein paar Abende mit „Zorgamazoo“ verbringen, denn mein Sohn ist noch zu jung für das Hörspiel.

Peter Paul Weston: Zorgamazoo. Hörbuch gelesen von Martin Baltscheit. Silberfisch 2012. ab 8 Jahren. 3 CDs 12,99 Euro.

Martin Baltscheit und Christine Schwarz: Das Gold des Hasen. Beltz und Gelberg 2013. ab 5 Jahren. 14,95 Euro.

Ben Becker: Bruno. Der Junge mit den grünen Haaren. Mit Illustrationen von Annette Swoboda. Rororo Rotfuchs 2009. ab 5 Jahren. 9,95 Euro.

Paul Maar: Lippel, träumst du schon wieder! Oetinger Verlag 2012. ab 9 Jahren. 13,95 Euro.

Sven Nordquist: Findus zieht um. Oetinger Verlag 2013. ab 4 Jahren. 12,95 Euro.

Der Frühling lässt auf sich warten – hier ein kleiner Trost: Lesung mit Sebastian Meschenmoser

herr eichhornEs ist schon zwei Wochen her, aber im lang anhaltenden winterlichen Grau zehre ich immer noch davon: von einer Lesung mit Sebastian Meschenmoser in der Buchhandlung nimmersatt in Berlin Kreuzberg. Der Autor stellte die Bilder und Geschichten von „Herr Eichhorn und der erste Schnee“ sowie „Herr Eichhorn weiß den Weg zum Glück“ vor. Außerdem erfüllte er die Bilderwünsche aller anwesenden Kinder (und das waren ziemlich viele) und zeichnete jede Menge Tiger, Leoparden, Hunde.

Die feinen Bleistiftstriche lassen die verschiedenen Tiere sehr lebendig werden und geben ihnen einen unverwechselbaren Charakter. Wenn ich draußen Eichhörnchen durch die Bäume hüpfen sehe, kann ich mir nun gut einen Herr Eichhorn vorstellen, der immer sehr neugierig, aber auch patent und voller Tatendrang die Dinge in die Hand nimmt. Die Illustrationen von Sebastian Meschenmoser haben meist eine sehr leichte und luftige Atmosphäre, so dass ich mich an den Frühling erinnert fühle, fast egal, um welches Thema es geht.

Glücklicherweise ist sein Zeichenatelier bei nimmersatt noch einmal geöffnet, nämlich am Samstag, 16. März um 16 Uhr. Wenn der Frühling bis dahin noch nicht bei euch aufgetaucht ist, in Berlin-Kreuzberg ist er an diesem Nachmittag wahrscheinlich in der Buchhandlung zu finden!

Sebastian Meschenmoser: Herr Eichhorn und der Mond. / Herr Eichhorn und der Besucher vom blauen Planeten. / Herr Eichhorn und der erste Schnee. / Herr Eichhorn weiß den Weg zum Glück. Alle erschienen bei Esslinger. Ab 4 Jahren. 9,95 Euro.

Geburtstagsvorbereitungen und Arbeit: Sven Nordquists „Eine Geburtstagstorte für die Katze“

findus geburtstagstorteDer fünfte Geburtstag naht und ist gerade natürlich ein großes Thema. Da passt eine Pettersson-und-Findus-Geschichte mal wieder ganz prima. Die anderen Bände aus der Reihe, die wir bisher gelesen haben, fand ich ganz nett, aber nicht umwerfend. Das Geburtstagsbuch hat mich nun „gepackt“, denn ich fühlte mich so schön an mir sehr bekannte Situationen erinnert – so erfinderisch, verträumt und ungeschickt wie Pettersson bin ich auch manchmal.

Die Geschichte geht so: Pettersson möchte für Findus eine Geburtstagstorte backen. Für den Teig braucht der Bäcker Mehl, das er nicht mehr im Haus hat. Also möchte er ins Dorf fahren, um welches zu besorgen. Leider ist der Fahrradhinterreifen platt. Das Werkzeug für die Reparatur ist im Tischlerschuppen (N.B: Tischlerschuppen gehören scheinbar in jedes schwedische Kinderbuch. Warum? Gibt es heute noch Tischlerschuppen in Schweden?). Dummerweise ist der Schlüssel verschwunden. Schnell finden Pettersson und Findus den Schlüssel im Brunnen. Mit einer Angel könnten sie ihn herausfischen. Der alte Mann besitzt sogar eine Angel, die liegt auf dem Speicher vom Tischlerschuppen. Zum Speicher kann man durch die Dachluke klettern, man benötigt nur eine Leiter. Die Leiter wird nur unglücklicherweise von Nachbar Anderssons Stier bewacht. Den müssten die beiden Freunde erst weglocken. Mit einer gelb-roten Gardine, die Pettersson um Findus‘ Schwanz wickelt, gelingt es, freien Zugang zur Leiter zu bekommen. Dabei passiert allerdings ein Unglück und alle Eier für den Kuchenteig gehen zu Bruch. Pettersson und Findus geben aber nicht auf und es gelingt schließlich doch, die Angel zu holen, den Schlüssel aus dem Brunnen zu fischen, den Schuppen aufzuschließen, das Fahrrad zu reparieren, Mehl zu kaufen und eine wunderbare Geburtstagstorte zu backen.

Meine Geschichte geht so: An der Arbeit muss ein Brief geschrieben werden. Da das Büro vor kurzem umgezogen ist, hat sich die Adresse geändert und das Briefpapier musste neu bestellt werden. Bis neues Briefpapier da ist, muss der Briefkopf ausgedruckt werden. Leider sind noch nicht alle Drucker angeschlossen, so dass ein Farbausdruck nicht möglich ist. Also muss ich auf einen Copy-Shop ausweichen. Ich nehme meinen USB-Stick mit zum Copy-Shop und öffne dort am Computer die Datei. Unglücklicherweise benutzt mein Arbeitgeber eine eigene Schriftart, die in der Textverarbeitung des Copy-Shops nicht installiert ist. Also muss ich nochmal ins Büro zurück, um ein pdf-Dokument zu erstellen. Da ich neu bin, habe ich noch keinen Schlüssel fürs Büro, die Kollegen sind alle schon nach Hause gegangen. Und ich komme mir am Ende des Tages vor wie Pettersson, über den es heißt:

„Die Leute behaupteten, Pettersson sei verrückt. Die Leute reden ja so viel. Man weiß nicht, was man glauben soll. Er war schon manchmal ein bißchen vergeßlich und zerstreut, so wie andere war er jedenfalls nicht. Er lebte allein und redete mit seiner Katze. Das wäre ja gar nicht mal so schlimm, wenn da nicht die Sache gewesen wäre, von der Gustavsson erzählte. Die Sache mit dem Pfannkuchenteig. Da war Pettersson übers Dach geklettert, als er im Dorf einkaufen wollte. Und der Katze hatte er eine Gardine an den Schwanz gebunden.“

Hoffentlich geht die Zubereitung der leckeren Pfannkuchentorte mit Himbeer-Quark-Sahne zum Geburtstag problemloser über die Bühne.

Sven Nordquist: Eine Geburtstagstorte für die Katze. Verlag Friedrich Oetinger 1984. ab 4 Jahren. 17,95 Euro.

Comics zur Einführung: Benni Bärenstark

Das neue Jahr hbenni bärenstark1at vor ein paar Tagen begonnen, ich wünsche euch alles Gute! Wie es sich für einen spannenden Jahresanfang gehört, möchte ich heute einen kleinen Ausblick geben – einen Ausblick auf eine Neuerscheinung, mit der ihr hoffentlich viel Spaß haben werdet.

Eigentlich bin ich kein großer Comic-Fan. Ich hatte nur eine ganz kurze „Lustiges-Taschenbuch-Phase“, habe die bunten Bildchen schnell hinter mir gelassen und war immer mehr von Bleiwüsten angezogen. Mir leuchtet aber ein, dass Comics sehr gut das Lesenlernen unterstützen und eine große Motivation für die Beschäftigung mit Büchern sein können. Das Vorlesen ist zwar etwas schwierig, aber die großen Buchstaben sind bestimmt interessant in Phasen, in denen Kinder sich gerne mit Buchstaben beschäftigen und diese für sich entdecken.

Also möchte ich mich gerne auf den Tipp einer Freundin einlassen, die mir den kleinen Benni Bärenstark ans Herz gelegt hat. Der Charakter wurde vom belgischen Comiczeichner Peyo, dem Erfinder der Schlümpfe, entwickelt. Im Februar 2013 erscheinen drei Bände aus der Serie neu und sie sind dann wieder lieferbar.

benni bärenstark2Benni ist ein kleiner, ganz normaler Junge – das heißt, er wäre es gern, ist er aber nicht, denn er ist unglaublich stark! Bäume ausreißen, höher als ein Haus springen, Autos mit bloßen Händen durch die Luft schleudern? Kein Problem für ihn – Schwierigkeiten bereitet ihm nur, seine Kräfte im Alltag richtig zu dosieren. Deshalb will auch niemand mit ihm spielen, denn alles, was er anfasst, geht nur allzu leicht kaputt. Zumindest solange er keinen Schnupfen hat, denn dann verlassen ihn seine Kräfte, und er ist wirklich nur ein braver, kleiner Junge, dem allerdings jede Art von schlechtem Benehmen oder gar kriminelle Machenschaften strikt zuwider sind. So gerät er stets aufs Neue in abenteuerliche Verwicklungen, bei denen er seine Superkräfte dann doch sinnvoll einsetzen kann, und wenn er schön darauf achtet, sich nicht zu erkälten, haben Schurken und Bösewichter gegen ihn kaum eine Chance.

Dieser kleine Held scheint mir viel Identifikationspotential für unseren fast Fünfjährigen zu bieten, der sich manchmal auch so gibt, als habe er Bärenkräfte. Erkältungen sind zwar im Moment nicht so das Thema, aber ein bisschen Gesundheitserziehung schadet bestimmt nicht.  Und so freue ich mich auf eine erste Begegnung mit Benni Bärenstark.

Peyo: Benni Bärenstark. Band 1: Die roten Taxis. Toonfish Verlag angekündigt ab Februar 2013. ab 5 Jahren. 11,95 Euro.

Peyo: Benni Bärenstark. Band 2: Madame Albertine. Toonfish Verlag angekündigt ab Februar 2013. ab 5 Jahren. 11,95 Euro.

Lachen ist ansteckend: „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ von Hannes Hüttner

Vor einigen Wochen hatten wir einen herrlichen Vorlesemoment. Wir sind auf den DDR-Kindergeschichten-Klassiker „Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt“ gestoßen, da wir im Moment oft Geschichten aus dem Band „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen. Die schönsten Kindergeschichten der DDR“ vorlesen. Unser Sohn fand die Feuerwehr-Geschichte von Anfang an zum Totlachen. Ich habe Bauklötze gestaunt, ob der Wirkung der Erzählung. Die Figuren, z.B. der immer hungrige Feuerwehrmeister Meier, riefen Zwerchfellerschütterungen bisher ungekannten Ausmaßes hervor.

Allein der Name der Oma, deren Wohnung in Brand geraten war, sorgte schon für kleine Lachkrämpfe. Sie heißt Oma Eierschecke und hatte einen Quarkkuchen gebacken, dabei die Ofentür offen gelassen und so einen Küchenbrand verursacht. Weitere Unfälle passieren Emil Zahnlücke, der auf einem Teich im Eis einbricht und einigen Zootieren, die von einer umgeknickten Linde bedroht werden. Die Unfälle strukturieren die Geschichte wunderbar, die armen Feuerwehrmänner werden drei Mal um ihre Kaffeepause gebracht. Eine simple Idee mit einer großen Wirkung!

Hannes Hüttner: Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt. Mit Bildern von Gerhard Lahr. In: Corinna Schiller (Hrsg.): Erzähl mir vom kleinen Angsthasen. Die schönsten Kindergeschichten der DDR. Beltz & Gelberg 2009. S. 35-47. ab 4 Jahren. Sammelband 14,95 Euro.

P.S. Eigentlich hatte ich angekündigt, den Sieger des Jugendliteraturpreises in der Sparte Bilderbuch kommentieren zu wollen. Irgendwie hatte ich bisher ein bisschen Pech bei der Buchbeschaffung zwischen Tür und Angel, so dass meine Rezension noch ein wenig Zeit braucht. Daher ziehe ich andere Artikel vor, aber die Besprechung kommt noch – versprochen!

Drachen überall – Drachen in der Literaturgeschichte

Copyright 2008 – Karin Dickel-Jonasch http://www.scherenschnitte-online.de

Vor einiger Zeit habe ich einen Artikel für ein literaturwissenschaftliches Handbuch verfasst. Das „Lexikon literarischer Symbole“ ist vor kurzem erschienen, was mir nun Gelegenheit gegeben hat, darin noch einmal zu blättern. Dabei bin ich auf den sehr schönen Artikel meiner Kollegin Claudia Lauer zu „Drachen“ gestoßen, der wunderbar ein paar unserer Buchentdeckungen aus den letzten Wochen ergänzt und ein neues Licht auf einen Lieblingsklassiker wirft.

Die Verfasserin des Lexikonartikels schreibt, Drachen seien in der Literatur Symbole des Glücks, des Destruktiven, des Bösen und der Unterwelt. Sie verkörpern innere Zustände, Entwicklungsprozesse und politische Herrschaftssysteme. Als Glücksbringer, die von einem Helden bezwungen worden sind, verschaffen sie dem Bezwinger physische Kraft, materiellen Gewinn, Weisheit sowie besondere Fertigkeiten. Sie können den Menschen als Gefährten dienen. Als Repräsentanten  des Bösen und der Unterwelt fordern sie Helden heraus und stellen sie auf eine Probe. Im Kampf mit ihnen ist Mut und Kraft gefordert. Wenn der Drachen bezwungen wurde, zeigt sich oft ein guter Kern Hässlichen, das Böse wir relativiert. In der Psychoanalyse wird der Kampf mit dem Drachen als Ereignis der Persönlichkeitsentwicklung, die zu einer Befreiung gegen regressive Mächte dient, beschrieben. Die Mächte, die Drachen repräsentieren, können z.B. das männliche-patriarchalische Prinzip oder politische Tyrannen sein.

In der Kinder- und Jugendliteratur sind Drachen sehr weit verbreitet. In unserem Lieblingsklassiker „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ kämpfen die beiden Helden gegen den Drachen Frau Mahlzahn und geben ihm nach ihrem Sieg die Chance, sich in einen goldenen Drachen der Weisheit zu verwandeln. Als Symbol der Persönlichkeitsentwicklung hatte ich diese Figur bisher schon gelesen. Nach der Lektüre des Artikels erscheint mir die politische Bedeutung aber auch sehr wichtig. Frau Mahlzahn wohnt schließlich in der Drachenstadt Kummerland, die eindeutig Merkmale eines nationalsozialistischen Staates trägt. Die Versöhnung mit dem Drachen nimmt dann aber ziemlich revisionistische Züge an, die wohl der Entstehungszeit des Buches (Ende der 1950er Jahre) geschuldet ist.

Der zweite Drachen ist mir vor kurzem in einem Antiquariat begegnet. Gezeichnet hat ihn der in Österreich lebende Illustrator Walter Schmögner. Der Drache ist eindeutig ein Glücksdrache, seine Befreiung aus der Unterwelt bewältigt er ohne die Hilfe eines Helden. Das Unglück, das er überwindet, heißt Einsamkeit und Langeweile, besiegt wird es durch einen Besuch im Zoo , wo er seine Kuntstücke vorführen  und die anderen Tiere belustigen kann. Auf dem Weg dorthin trifft er zudem eine kleine Maus, die am Ende seine Gefährtin wird. Die Geschichte des Drachen in „Das Drachenbuch“ ist wie ein Comicstrip gezeichnet. Die Bilder sind sehr charmant, fröhlich und komisch. Eigentlich viel zu schade, um sie zwischen zwei Buchdeckeln zu verstecken.

Der dritte Drachen hat uns aus dem Kindergarten heimgesucht. Gerade wünsche ich mir dringend einen Helden, der ihn besiegt! „Der kleine Drache Kokosnuss“ nervt nämlich mit seinem platten und biederen Charakter und seinen schlecht erzählten Geschichten ganz schön. Unser Sohn hat sich wohl symbolisch in die Unterwelt der Kinderliteratur locken lassen. Wie kriegen wir ihn da bloß wieder raus? Denn als Gefährten und Glücksbringer wünsche ich mir für mein Kind keine verniedlichten, kreuzbraven Wesen, die selten eigene Ideen in ihre Abenteuer einbringen.

Günter Butzer, Joachim Jacob (Hrsg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Zweite Auflage. Metzler Verlag Stuttgart 2012.

Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Thienemann 2004. ab 6 Jahren. 14,90 Euro. (Gebunden mit Halbleinen)

Walter Schmöger: Das Drachenbuch. Insel Verlag 1969. ab 4 Jahren. Neuauflage: Residenz Verlag 2010. 8,90 Euro.

Die wundersame Welt der Modelleisenbahnen: „Thomas, die kleine Lokomotive und ihre Freunde“ von Wilbert V. Awdry

Da unser Sohn ein großer Eisenbahnliebhaber ist, entsteht bei uns seit einiger Zeit eine kleine Sammlung von Büchern zu diesem Thema. So hatten wir zudem schon mehrfach Gelegenheit, einen Blick in die Welt der Modelleisenbahnen zu werfen, wo sich detailverliebte Experten und faktenversessene Perfektionisten tummeln, wie mir scheint. Die Beschreibung von und das Expertenwissen über Lokomotivtypen, Modellanlagen und Spurbreiten beeindrucken mich meist sehr.

Insbesondere bei der „Interpretation“ von Kinderbüchern äußert sich dieser extreme Einsatz für ein Hobby. Ich war erstaunt, als ich auf den Wikipedia-Artikel zu den Büchern „Thomas, the tank engine and his friends“ von Wilbert V. Awdry (auch genannt The Reverend W. Awdry) stieß. Ein schönes Beispiel für die Sammel- und Dokumentierungsleidenschaft von Modelleisenbahnfreunden, denn die Typen auf denen die Lokomotiven aus den Geschichten zurückgeführt werden können, werden genauestens identifiziert und kategorisiert. Die Kulissen der Fernsehserie, die nach den Büchern produziert wird, werden so exakt beschrieben, dass man die Welt von Thomas und die Insel Sodor, auf der die kleine Lokomotive und ihre Freunde arbeiten, nachbauen könnte.

Dabei finde ich die Modelleisenbahnästhetik, also das Aussehen einer realistisch wirkenden Welt im Miniaturformat mit Fachwerkhäusern, grünen Wiesen und Tannenwäldern, selbst sehr merkwürdig. In der Fernsehserie, die für neuere  illustrierte Bücher herangezogen wird, wird diese Ästhetik reproduziert und weiter getrieben. Die Lokomotiven mit Gesichtern und die „Herren von der Eisenbahngesellschaft“ aus Plastik stellen eine Welt dar, die künstlich und zugleich sehr arm an Fantasie daher kommt. Da erscheinen mir die Original-Illustrationen zu den englischen Büchern noch als ganz nett.

Durch ein englisches Original-Pop-Up-Buchvon 1984, mit den Illustrationen von 1957, das uns eine Freundin lieh, kam Thomas, die kleine Lokomotive, zu uns. Dabei machte das Buch uns Vorlesern schon ein paar Schwierigkeiten, denn unser Sohn wollte nach kurzer Zeit nicht mehr den englischen Text hören, sondern nur noch den deutschen. Dabei zeigten sich aber einige Übersetzungsprobleme zwischen uns beiden Vorlesern und es kam zu ständigen Verwirrungen ob wir z.B. „mine“ nun mit Mine oder Grube übersetzen sollten.

Nun verschlimmerte sich die Situation durch ein Mitbringsel: Eine deutsche Geschichte in der oben beschriebenen Modelleisenbahnästhetik. Auf der Insel Sodor kommt eine neue Lokomotive an, die zuerst von den anderen Loks wegen ihres besonderen Aussehens verspottet wird. Bei einem Unfall der kleinen Lok Percy kann sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und wird daraufhin von ihren Kollegen akzeptiert. Wie in der Geschichte im Pop-Up-Buch ist die kleine Lokomotive Percy hier auch ein Unglücksrabe und Pechvogel. Diese Festlegung des Charakters, die den Kosmos der Eisenbahngesellschaft auszumachen scheint, stört mich.  Die Lokomotiven sind noch dazu recht eindimensional beschrieben. Die Miniaturwelt bleibt so überschaubar, vorhersehbar und vermittelt Sicherheit. Eine Entwicklung der „Persönlichkeit“ von Percy oder anderen Loks scheint jedoch nicht vorgesehen zu sein, was mir irgendwie leid tut.

Vielleicht haben wir es mit „Thomas, der kleinen Lok“ noch ganz gut getroffen. Es könnte ja auch „Roary, der kleine Rennwagen“ oder „Bob, der Baumeister“ sein.

The Reverend W. Awdry: Ein neuer Freund für Thomas. Panini Books 2008.

The Reverend W. Awdry: Percy, the small engine takes the plunge. A pop-up book. The Windmill Press 1984.

Bücher für „neue Väter“: Willi Wiberg

Im Moment macht sich der „Spiegel“ gerade auf die Suche nach „neuen Vätern“ und beklagt deren oberflächliche Beteiligung im Haushalt und in der Kinderbetreuung (hier z.B. ein Artikel vom 07.11.). Wenn Frau und Mann dann mal die Rollen tauschen, treffen sie auf Kinderbücher, die traditionelle Rollenverteilungen zementieren. Im Blogeintrag über die „Conni-Bücher“ hatte ich mich über das veraltete Rollenbild beschwert, das die Bände vermitteln.

Durch den Tipp einer Freundin bin ich auf eine, neben anderen, vielversprechende Alternative gestoßen. Und die kommt – wie könnte es auch anders sein – aus Skandinavien! Der kleine Willi Wiberg, ein Geschöpf der schwedischen Autorin Gunilla Bergström, kämpft sich in zahlreichen Bänden gemeinsam mit seinem Papa durch den Alltag. Ich habe kürzlich die Geschichte „Mach schnell, Willi Wiberg“ ausgeliehen und war ganz angetan von den charmanten Zeichnungen mit collagenähnlichen Elementen sowie der augenzwinkernden Geschichte. Der kleine Junge trödelt morgens und lässt sich von den Ermahnungen seines Vaters, dass es doch Zeit für den Kindergarten sei, nicht aus der Ruhe bringen. Eine Mutter kommt in diesem Band gar nicht vor. Und auch in den anderen Geschichten werden nur Willis Tante oder seine Großmutter kurz erwähnt.

Die Geschichten erscheinen schon seit Anfang der 1970er Jahre. Der letzte Band wurde 2006 veröffentlicht. Viele Bücher kann man in Neuauflagen beim Oetinger Verlag kaufen, einige Bände gibt es nur noch antiquarisch. Da wird doch glatt die Sammlerleidenschaft geweckt!  Ich glaube, Willi Wiberg und ich, wir werden Freunde. Ich muss nur noch meinen Mann von diesem neuen Freund berichten …

Gunilla Bergström: Mach schnell, Willi Wiberg. Oetinger Verlag 1976 (Neuauflage 2009). ab 4 Jahren. 9,90 Euro.

Grusel, grusel: Märchenillustrationen

Ich lese gerne Märchen vor. Ich mag die einfachen Geschichten von Gut und Böse. Ich denke, dass Märchen zur kulturellen Bildung gehören. Ohne Märchen versteht man viele Geschichten nicht.

Wir haben eine prächtige Readers-Digest-Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm geschenkt bekommen. Ein Märchenbuch, wie man es sich vorstellt, sehr stabil mit schönem Einband und Goldschnitt. Nur dass ich als Vorleserin noch keine grauen Haare habe und ein Ohrensessel nicht in unser kleines Wohnzimmer passt. Die Sprache der Märchen ist zwar modernisiert, aber die einzelnen Geschichten sind nicht gekürzt. Leider ist das Buch sehr spärlich und etwas langweilig illustriert (Illustrationen: Dorothea Desmarowitz und Bernhard Oberdieck). Also habe ich mich auf die Suche begeben nach schönen zeitgenössischen Märchenillustrationen, die nicht im Disney-Stil gehalten sind. Dabei bin ich auf wirklich erstaunliche Bücher gestoßen.

Bisher habe ich folgende Märchen vorgelesen: „Schneewittchen“, „Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“, „Die Bremer Stadtmusikanten“ sowie „Die Prinzessin auf der Erbse“. Dabei hat sich herausgestellt, dass „Hänsel und Gretel“ das gruseligste Märchen zu sein scheint. Die Hexe schien meinem Kind wirklich Angst zu machen. Interessanterweise ist genau diese Geschichte das Märchen, das am häufigsten zu Illustrationen einlädt. Ich habe mir vier neu erschienene oder wieder aufgelegte Ausgaben angeschaut und war sehr erstaunt über die verschiedenen Illustrationsstile.

Zwei sehr kunstvolle Bände gibt es von Lorenzo Mattotti und Kveta Pacovska. Die Illustrationen des Italieners sind alle in schwarz gehalten, scherenschnittartig und stellen mehr abstrakte Gefühle und Seelenzustände als die Figuren und Räume des Märchens dar. Eine Ausgabe, die ab fünf Jahren empfohlen wird, aber sich wohl in erster Linie an bibliophile erwachsene Leser richtet.

Ebenso ästhetisch verstörend wirkten auf mich Kveta Pacovskas Bilder zu „Hänsel und Gretel“. Die Figuren sind kubistisch verfremdet und als Fratzen gezeichnet. Auch hier greift die Illustratorin häufig auf die Farbe schwarz zurück. Ich bin durchaus offen für ungewöhnliche und künstlerische Bilder, diese Zeichnungen waren mir aber zu ausgefallen. Besser haben mir die Illustrationen von Kveta Pacovska zu „Rotkäppchen“ oder „Aschenputtel“ gefallen.

Zurück zu „Hänsel und Gretel“: Auf den ersten Blick mochte ich die Ausgaben des Märchens von Bernadette und Markus Lefrançois. Die Figuren waren erkennbar, aber nicht zu niedlich. Schöne grafische Elemente und Details rahmen die Geschichte ein. Aber auch hier kamen die Illustratoren nicht ohne gruselige und verstörende Bilder aus. Die Szene, als die Hexe in den Ofen gestoßen wird, wirkte grausig. Das Märchen bekam eine düstere Atmosphäre, mit der ich schwer umgehen konnte.

Warum wird „Hänsel und Gretel“ so als Kinderschreck illustriert? Hilft es Ängste zu überwinden, wenn das Monströse der Geschichte im Vordergrund steht? Wäre es nicht besser, die Schweinwerfer auf die mutige Gretel zu richten, wenn sie die Hexe in den Ofen stößt, als das verzerrte Gesicht der Hexe in Nahaufnahme zu zeigen?


Lorenzo Mattotti: Hänsel und Gretel. Carlsen Verlag 2011.ab 5 Jahren. 19,90 Euro.

Kveta Pacovska: Hänsel und Gretel. Minedition 2009. ab 3 Jahren. 19,95 Euro.

Bernadette: Hänsel und Gretel. Nord Süd Verlag 1973 (Neuauflage). ab 3 Jahren. 13,80 Euro.

Markus Lefrançois: Hänsel und Gretel. Reclam Verlag 2011. ab 3 Jahren. 16,95 Euro.

Kinderbücher bodenständig und praktisch: Die Conni-Reihe

Manchmal schleichen sich Kinderbuchfiguren in den Alltag ein und man weiß nicht, wo sie herkommen. Dann sind sie da und gehen nicht wieder weg. Dann ist man wohl den Marketing-Strategen der Verlage auf den Leim gegangen.

Conni ist so eine Figur, die sich, vor allem in der Form von Pixie-Büchern, bei uns eingeschlichen hat. Die Conni-Reihe bietet eine Rundum-Versorgung mit Webseite für Kinder, Kuschelkissen und Arzttasche. Angefangen hat es bei uns mit der Geschichte „Conni feiert Weihnachten“. Und weil die so praktisch die Abläufe und Begriffe rund um das Weihnachtsfest erzählt, folgte „Conni und der Osterhase“. Und dann ergeben sich für viele weitere Alltagserlebnisse und -ereignisse Anlässe, um mal bei Conni vorbeizuschauen: „Conni kommt in den Kindergarten“, „Conni geht zum Arzt“, „Conni zieht um“ und so weiter und so weiter.

Dabei mag ich die Figur eigentlich ganz gerne: Das Mädchen ist sehr bodenständig, legt nicht viel Wert auf Klamotten und Konsumgüter, weiß sich in allen Situationen zu helfen. In ihrer praktischen und zupackenden Art bleibt sie aber dennoch blass, denn sie hat keine Ecken und Kanten. Conni ist das Gegenteil von Juli, den ich in einem früheren Artikel vorgestellt habe, und in dessen Welt es manchmal etwas chaotisch zu geht. Bei Conni hingegen ist immer aufgeräumt, haben die Eltern stets gute Laune und erklären mit Geduld den Alltag im Vorstadthäuschen. Dabei ergeben sich für die Vorleser noch praktische Tipps, wie man selbst Weihnachtskugeln bastelt oder ein Ostergärtchen mit Häuschen anlegt. Das hilft, den Familienalltag zu strukturieren, es beschleicht mich aber das Gefühl, dass die Bücherwelt meines Kindes nicht nur aus Conni-Geschichten bestehen sollte, in denen alles aufgeräumt ist, Konflikte sich in null-komma-nichts lösen und die Welt nur aus Alltagsbegebenheiten besteht.

Liane Schneider, Eva Wenzel-Bürger: Das große Conni-Buch. Carlsen 2010. ab 2 Jahren. 12,90 Euro.

P.S. Im Moment könnten wir den Band „Conni hilft Mama“ gebrauchen, denn die Erkältungszeit hat mich und unseren Papa erwischt und wir sind etwas eingeschränkt arbeitsfähig. Der Papa kommt in den Conni-Geschichten allerdings nur am Rande vor. Er macht auch keine Arbeit im Haushalt. Wobei wir bei einem weiteren Ärgernis der Conni-Geschichten wären: Die Rollenverteilung zwischen den Eltern ist steinzeitlich. Aber das ist ein Problem, das in zahllosen Kinderalltagsbüchern, besteht.