Mauergeschichte(n): „Von Kaisern und Barbaren. Der Bau der Großen Chinesischen Mauer“ von Cornelia Hermanns

Wir haben im FrüMauer2hjahr eine große Reise gemacht. Zuerst waren wir einige Tage in Hong Kong, dann sind wir im Süden Chinas gereist. Neben vielen Eindrücken und Geschichten haben wir auch ein großes Interesses für die chinesische Kultur und die Geschichte des riesigen Reiches mitgebracht.

Dazu passend habe ich dann im Museumsshop des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem ein tolles Buch gefunden, das uns mehrere Wochen begleitet hat. Es erzählt die Geschichte der Großen Chinesischen Mauer – dieses Megabauwerks, das vom Weltall aus zu sehen sein soll. Eigentlich ist das Buch für einen Sechsjährigen zu komplex, dennoch hat mein Sohn es gern gehört, wenn ich vom ersten Kaiser von China Quin Shi Huangdi, von den Mongolen und anderen „barbarischen“ Völkern wie den Xiongnu und den Mandschu oder von der Ming-Dynastie vorgelesen habe.

Trotz der schwierigen Namen hat mir das Vorlesen große Freude bereitet, denn der Text ist spannend geschrieben und sehr übersichtlich gegliedert. Die Historikerin Cornelia Hermanns versteht es gut, die Daten und Fakten in Geschichten zu verpacken. Die Geschichten umklammert sie mit einer Systematik, die spannende Facetten aufdeckt. Sie erzählt nicht nur von der politik- und militärgeschichtlichen Entstehung der Mauer, sondern auch vom Leben und Sterben der Soldaten, die die Mauer bauen und bewachen mussten. Die immense Bedeutung und Grausamkeit des Bauwerks, das auch „Größter Friedhof der Welt“ genannt wird, zeigt sich so sehr anschaulich.

Der Text im Zusammenspiel mit wunderschönen Tuscheillustrationen von Gregor Körting schafft es, die fremde Kultur mit Phantasie zu verbinden. In Anlehnung an die traditionelle chinesische Malerei zeichnet der Illustrator mit sanften aber bestimmten Strichen faszinierende Bilder der fremden Kultur. Die unaussprechbaren Namen werden plötzlich vertraut und gehen fließend über die Lippen. Wer für die Namen und Begriffe Hilfe in Anspruch nehmen möchte, kann auf der Webseite des Drachenhaus-Verlags ein Glossar mit Audiodateien zur korrekten Aussprache finden. Die Autorin und der Illustrator fanden auch eine schöne Form für eine Überblickszeitleiste im Bucheinband: Ein verschlungener gemauerter Weg fasst die wichtigsten Stationen in der Geschichte der Großen Mauer zusammen.

Am letzten Wochenende stand die Berliner Mauer im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer sich weiter mit Mauern beschäftigen möchte, dem sei dieses Sachbuch wärmstens empfohlen. Die Große Chinesische Mauer steht noch immer und erinnert an die zahlreichen Funktionen, die Mauern in der Geschichte der Menschheit haben.

Cornelia Hermanns: Von Kaisern und Barbaren. Der Bau der Großen Chinesischen Mauer. Mit Illustrationen von Gregor Körting. Esslingen: Drachenhaus-Verlag 2012. ab 12 Jahren. 22,80 Euro.

P.S. Im Programm des Drachenhaus-Verlags gibt es noch weitere Titel zur chinesischen Geschichte von Cornelia Hermanns und Gregor Körting. Wenn ich die Cover sehe, werde ich wieder ganz neugierig und fühle wie das Reisefieber und der Wissensdurst in mir wach werden.

Ein Faible für Kometen: „Im Weltraum“ vom Usborne Verlag

look_inside_space_cover_20mm_geEs scheint mir Lichtjahre her, dass ich zuletzt etwas für den Blog geschrieben habe. Nun kommt langsam die Zeit, um aufs Jahr zurück zu blicken. So möchte ich in den nächsten Wochen versuchen, mal wieder Kinderbücher vorzustellen, die uns in den letzten Monaten beschäftigt haben.

Den Anfang macht ein Sachbuch und ein aktuelles Ereignis: Am Mittwoch, dem 12. November, wird das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt eine Sonde auf einem Kometen landen. Philae begegnet 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. Die Reise von Rosetta, der Muttersonde, und Philae, der Landeeinheit, zum Kometen dauerte 10 Jahre. Gesteinsproben sollen in den nächsten Monaten gesammelt werden. Die auf 67P gesammelten Daten sollen helfen, die Entstehung des Sonnensystems besser zu verstehen.

Einen ersten Einblick in das Verständnis des Weltraums bekommen Kinder ab 5  Jahren allerbestens mit dem Sachbuch „Im Weltraum“ vom Usborne Verlag, einer Übersetzung eines britischen Titels, geschrieben von Rob Lloyd Jones, illustriert von Benedetta Giaufret und Enrica Rusiná. Das Buch bedient sich des Klappenprinzips, um viele Informationen spannend aufzubereiten. Und es gibt wirklich viele Informationen zu entdecken! Mit über 70 Klappen sind die Fakten so verpackt, dass nicht der Eindruck entsteht, man müsste viel Text lesen. Hinter jeder Klappe verstecken sich zwei oder drei weitere Klappen. So wird das Prinzip des Wissenserwerbs sehr anschaulich. Als ich begann, das Buch vorzulesen, meinte ich, in 10 Minuten fertig zu sein. Pustekuchen! Eine Stunde dauerte der Spaß!

Und es machte viel Spaß, mein Wissen über Planeten und Sterne aufzufrischen, sowie Neues zu lernen. Beim Vorlesen der Fakten über die gigantischen und unbegreifbaren Dimensionen des Weltraums werde ich immer ganz ehrfürchtig und staune: Eine Rakete müsste sechs Monate fliegen, um zu unserem nächst gelegenen Planeten, dem Mars, zu gelangen! Die leuchtenden Farben der Planeten auf schwarzem Untergrund machen mir gute Laune.

Leider sind die Bilder aus dem wirklichen Weltraum meist eher grau in grau. Trotzdem werden wir uns am nächsten Mittwoch die Live-Übertragung des Ereignisses im Planetarium ansehen. Wir drücken den Wissenschaftlern fest die Daumen, dass die Misson gelingt!

Usborne Verlag / Autorenteam: Aufklappen und Entdecken: Im Weltraum. London 2014. 9,95 Euro. ab 5 Jahren.

Wenn Michael Ende noch am Leben wäre …: „Jim Knopf findet’s raus“ von Beate Dölling, nach Motiven von Michael Ende

jim knopf findets rausUnsere „Jim-Knopf- und-Lukas-der-Lokomotivführer“-Leidenschaft ist ungebrochen. Neulich bekam sie neues Futter durch einen Bibliotheksfund. Im Band „Jim Knopf findet’s raus“ nimmt die Autorin Beate Dölling den erklärenden Duktus der Original-Bände auf und erläutert in 24 Kapiteln Naturerscheinungen, auf mal mehr, mal weniger spannende Art und Weise. Jim Knopf bestürmt seine Freunde (Frau Waas, Alfons, der Viertel-vor-Zwölfte, Li Si, Herrn Ärmel) mit Fragen, wie z.B.: Brauchen Lokomotiven auch mal Ferien? Wie entstehen Vulkane? Und warum haben nicht alle Menschen dieselbe Hautfarbe?

Beim Nachdenken über dieses Buch schossen mir zahlreiche Fragen durch den Kopf: Wie hat Michael Ende eigentlich auf den Erfolg von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ reagiert? Zuerst wurde er ja angefeindet für seine Werke,. Aus diesem Grund sei er nach Italien gezogen, so ist bei Wikipedia zu lesen. Ob es Pläne für Fortsetzungen gab? Die Geschichte würde sich schon dafür eignen, finden mein Sohn und ich. Wir hätten auch schon einen Titel: „Die zwölf Unbesiegbaren“. Wie hätte Michael Ende auf die zahlreichen Spin-Offs aus seiner Geschichte, die im Moment auf dem Markt sind, reagiert?

Ein bisschen schade ist es schon, dass es keine Fortsetzungen von unserer Lieblingsgeschichte gibt – wiewohl ich die zahlreichen Serien, die den Kinderbuchbereich dominieren, eigentlich blöd finde. Vielleicht liegt ja darin gerade der Reiz der Figuren: Jim Knopf und Lukas sind einmalig und ihre Geschichte nutzt sich nicht ab durch das Kopieren und Ausschlachten in Fortsetzungen.

Nun müssen wir eben vorlieb nehmen mit einer bemühten Erzählerin, die zwar die Motive und Ideen von Michael Ende aufnimmt, an dessen erzählerischen Qualitäten aber bei weitem nicht heranreicht.

Michael Ende, Beate Dölling: Jim Knopf findet’s raus. Geschichten über Lokomotiven, Vulkane und Scheinriesen. Thienemann Verlag 2010. ab 6 Jahren. 14,90 Euro.

Statt fliegen: Bahn fahren!

leselokIm letzten Beitrag ging es ums Fliegen – heute ums Bahnfahren und das Vorlesen. Wir sind leidenschaftliche Bahnfahrer und haben schon tausende Kilometer in Zügen zurückgelegt. Das Vorlesen gehört immer dazu! Mein persönlicher Rekord liegt bei 60 Seiten aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ am Stück während einer fünfeinhalbstündigen Bahnfahrt.

Schon lange brennt mir deshalb ein Artikel über die „Leselok“, das Kindermagazin der Bahn, (hier ein Link zu einer älteren Ausgabe) unter den Nägeln, die wir seit ca. 1,5 Jahren kennen und die unser Sohn sich bei jeder Zugfahrt mit dem ICE im Bordrestaurant holen möchte. Im Restaurant gib es dann meist noch ein Geschenk dazu. Die Marketing-Strategie der Bahn funktioniert in diesem Fall allerbestens. Eis, Smoothies, Buntstifte oder eine Spielzeugeisenbahn haben schon manche Fahrt kurzweiliger gestaltet.

Die Texte in der „Leselok“ muss ich meist mehrere Male vorlesen und oft fand ich die Themen selbst auch ganz interessant: Wie wird ein ICE repariert und modernisiert? Welche Zugtypen gibt es? Was passiert bei den Zugüberprüfungen in den Eisenbahnwerkstätten? Da überdeckte meine Freude über den Wissenszuwachs das dumpfe Gefühl der Manipulation meines Kindes (die ich als Elternteil auszubaden habe, wenn mein Kind quengelnd im Supermarkt vor dem Smoothies-Regal steht).

In der letzten Ausgabe (02/2013 – Titel: „Bahn frei für Kinder“) wurde es mir dann aber ein bisschen zu viel: Im Artikel über die Zugbegleiterin ging es zu einem großen Teil darum, was man alles im ICE kaufen kann – es gibt nämlich jetzt ein Kindermenü im Bordbistro. Ich selbst habe noch nie etwas im Bordrestaurant gegessen – da schrillen bei mir alle Zu-Teuer-Alarmglocken auf einmal, das liegt außerhalb meines geistigen und finanziellen Horizonts. Im Zug hat man doch sein Proviant dabei! Und so kam ich mir reichlich merkwürdig vor beim Vorlesen und die Werbung fürs Kindermenü habe ich mit dem Arm immer abgedeckt, damit mein Sohn nicht auf „dumme Gedanken“ kommt.

Dafür machte die Leseprobe mir ausnahmsweise mal wirklich Lust auf ein Buch: „Sommer ist barfuß“ von Anna Herzog mit prima Illustrationen von Susanne Göhlich erschien mir witzig und interessant. Sehr schön fand ich auch den Comic mit dem kleinen ICE, den es zum ersten Mal gab. So kann es weitergehen mit der „Leselok“ – ohne zu viel Konsumierungs- und Eigenwerbung, die nervt. Denn eigentlich ist das Bahnfahren an sich ja schon schön genug, bei unserem Sohn muss man dafür keine Werbung mehr machen.

Erfindergeist: „Willi Werkel baut ein Auto“ von George Johansson und Jens Ahlbom

willy werkelWir haben kein Auto. Wir sind leidenschaftliche Rad- und Bahnfahrer. Aber die Großeltern haben Autos. Und so interessiert sich unser Sohn plötzlich für Automarken und für das Buch „Willy Werkel baut ein Auto“, das wir in der Bibliothek gefunden haben. Zuerst war mir das Buch ein wenig suspekt, dann aber gefielen mir die Figuren und Ideen ganz gut. Aus gesammeltem Schrott und Krimskrams bastelt der Erfinder Willi ein Auto, sein Hund Buffo hilft ihm dabei. Die Leser können ihm zuschauen beim Montieren der Räder, Anbringen des Lenkrads, beim Einbau des Amaturenbretts und zuguterletzt dem Einsetzen eines Motors. Mit dem zusammengeschraubten Wagen entdecken dann die beiden Freunde die weite Welt.

In einer lebendigen Sprache mit schönen Bildern wird so tatsächlich der Aufbau eines Autos erklärt, wenn auch das fertige Gefährt sich schon deutlich von modernen Wagen unterscheidet und die Beschreibung ein wenig  romantisierend – rückwärtsgewandt erscheint. Da ich jedoch selbst einen „Erfinder-Vater“ habe, der früher gerne Computer gebastelt hat und mit großer Leidenschaft lötet, schraubt und Drähte verlegt (an seiner Modelleisenbahn) war mir die Idee vom Do-it-youself-Auto aus Recycling-Material sehr sympathisch.

Beim Recherchieren habe ich dann noch entdeckt, dass es neben den Fortsetzungen auch gut bewertete Computer-Spiele mit Willi Werkel gibt. Das ist dann aber doch ganz schön viel Technik für mich als  schöngeistige Philologiemutter!

George Johansson und Jens Ahlbom: Willi Werkel baut ein Auto. Carlsen Verlag 1994. ab 4 Jahren. Leider nur noch antiquarisch erhältlich.

Fortsetzungen: George Johansson und Jens Ahlbom: Willi Werkel baut ein Schiff. Carlsen Verlag 1999. ab 4 Jahren. Leider nur noch antiquarisch erhältlich. – George Johansson und Jens Ahlbom: Willi Werkel baut ein Flugzeug. Carlsen Verlag 1995. ab 4 Jahren. Leider nur noch antiquarisch erhältlich.

Computerspielreihe: Willy Werkel – Autos bauen mit Willy Werkel (PC+MAC) bei Quinto, für Windows 7/XP/Vista und Mac. CD-Rom für 12,01 Euro. Außerdem auch Flugzeuge bauen, Schiffe bauen, Häuser bauen, Raumschiffe bauen.

Ein Sonntagsfrühstück mit Karlsson vom Dach: Das „Astrid-Lindgren-Kochbuch“ von Mamke Schrag und Andreas Wagener

Es ist Herbst, es gibt Äpfel, Kürbisse, Möhren und anderes Obst und Gemüse in Mengen, ich koche und backe gerade ganz gerne. Noch bin ich nicht unter die Food-Bloggerinnen gegangen … dafür habe ich aber eine Entdeckung gemacht, die Spaß am Kochen und Lesen genauso gut verbindet.

Beim Vorlesen der Astrid-Lindgren-Bücher „Immer dieser Michel“ und „Karlsson vom Dach“ gab es mehrere Momente, wo mir das Wasser im Mund zusammenlief, wegen der vielen leckeren Speisen, die genannt werden. Bei Festessen auf Katthult und Weckenschmäusen auf dem Dach wäre ich auch mal gerne dabei. Nun habe ich ein Buch gefunden, das die kulinarische Atmosphäre der Astrid-Lindgren-Bücher zu uns nach Hause holt und Rezepte aus Lönneberga, Bullerbü, der Villa Kunterbunt oder der Krachmacherstraße vorstellt. Eine herrliche Entdeckung!

Die Autoren des Rezeptbuches haben die in den Astrid-Lindgren Büchern erwähnten Rezepte gesammelt und die schwedischen Originalrezepte dazu ausfindig gemacht und niedergeschrieben. So entstand eine recht bunte Mischung aus süßen und herzhaften, alltagstauglichen Gerichten und Kuchen – mit einigen Fischrezepten und allem, was die schwedische Küche zu bieten hat. Wie Fischpudding schmeckt (als Michel aus Lönneberga bei Frau Petrell zu Besuch ist, wird dieser serviert), wollte ich immer schon mal gerne wissen. Zu den einzelnen Astrid-Lindgren-Werken gibt es kurze Einführungen. Zitate aus den Büchern leiten die Rezepte ein, so dass man sich gut erinnern kann, in welcher Situation das Gericht „eingesetzt“ wird.

So haben die Zimtwecken, die Karlsson so gerne stibitzt, schon unseren Frühstückstisch bereichert. Und der Apfelauflauf brachte mir ein Lob meiner Backkünste von unserem Sohn ein. Ganz so wie es im Buch heißt: „Als Nachtisch bekam er [Lillebroer] Apfelauflauf mit Vanillesoße. Da fing er allmählich an zu glauben, dass Fräulein Bock [die etwas griesgrämige Nachbarin] vielleicht doch nicht so übel sei.“

Mamke Schrag, Andreas Wagener: Das Astrid-Lindgren-Kochbuch. Verlag Friedrich Oetinger 2008. Für alle Altersstufen. 16,90 Euro.

Viel Spaß beim Suchen und Finden: „Unser Haus“ von Antje von Stemm

Die Vorliebe für textlastige Bücher, die mich bei unserem Sohn bisher immer sehr erstaunt hat, schwächt sich langsam etwas ab. Seit einigen Monaten interessiert er sich für Wimmelbücher und sucht gerne die Details in den großen Bildern. Da kommt diese Entdeckung gerade recht: Antje von Stemms „Unser Haus“ ist ein reines Bilderbuch.

Zu sehen ist ein Mehrfamilienhaus mit drei Stockwerken und sechs Mietparteien. Es wohnen in diesem Haus: ein Seemann, eine Studenten-WG, eine pensionierte Opernsängerin, eine Kleinfamilie, ein designorientiertes Paar und eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern. Den Tagesablauf dieser Bewohner kann man mit der Hilfe von großen Klappen nachvollziehen und so mehrere Geschichten im Haus finden. Man kann Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Mietparteien ausmachen, man kann Verknüpfungen zwischen ihnen aufdecken. Man kann die Vielfalt von Lebensstilen entdecken. Man kann nach Details suchen und das Prinzip der Variation verstehen. „Unser Haus“ kann man als kleine Einführung in die Soziologie lesen und sich an der originellen Buchidee der Autorin erfreuen.

Antje von Stemm: Unser Haus! Zweite Auflage. cbj Verlag 2005. ab 4 Jahren. 14,90 Euro.

Kasperletheater

Der Kindergeburtstag naht! Bei der letzten Feier funktionierte die Aufführung eines Kasperlestückes gut. Wir haben ein Bettlaken zwischen die Türrahmen gespannt, eine Kasperhandpuppe besorgt und die restlichen Figuren mit Kuscheltieren besetzt. Den Text des Stücks haben wir dem Buch „Neues von Kasperle und seinen Freunden“ entnommen. Fertig war die kleine Aufführung und die 2- und 3-jährigen Kinder haben gespannt gelauscht, auch wenn der Text an einigen Stellen etwas holperte.

Dieses Jahr können wir auf ein erweitertes Handpuppenpersonal (Prinzessin, Großmutter, Polizist, Krokodil) zurückgreifen und haben mehr Stücke zur Auswahl, denn wir haben noch „Neue Kasperlestücke für viele Anlässe“ geschenkt bekommen. Dafür ist das Publikum älter und bestimmt anspruchsvoller. Vielleicht sollten wir einen Probedurchlauf machen, damit der Text besser sitzt als im letzten Jahr.

Die Stücke aus den beiden Büchern mit Kasperlestücken sind jedenfalls sehr ähnlich gestrickt: Sie eignen sich für zwei Spieler, Hinweise zu Kulissen, Dauer, Figuren und Requisiten werden zur Einleitung übersichtlich präsentiert. Die Geschichten sind meist an bestimmte Anlässe gekoppelt, es gibt also z.B. Geburtstags- oder Weihnachtsstücke. Im Buch „Neues von Kasperle und seinen Freunden“ scheint mir der Text und die Sprache etwas komplexer zu sein, aber hier sind auch Altersangaben zu den einzelnen Stücken gemacht.

Ich finde die Begeisterung von Kindern für Kasperlestücke immer faszinierend: wie sie in den Geschichten aufgehen, mit den Figuren interagieren und in die Welt von Kasper versinken. Der Mikrokosmos der Kaspergeschichten ist dem Märchen vergleichbar. Die Verhältnisse sind überschaubar. Das Gute besiegt am Ende das Böse. Allerdings trägt das Kasperletheater eher satirische und clowneske Züge. Hier kann der Kasper auch mal gegen den König revoltieren. Und der Held muss nicht immer so perfekt sein, wie im Märchen, ihm dürfen auch mal Missgeschicke passieren.

Für diesen Geburtstag habe ich ein Stück ausgesucht, bei dem Kasper gegen eine Hexe kämpft. Sie ist beleidigt, weil sie nicht zum Geburtstag der Großmutter eingeladen wurde und verzaubert aus Rache die Prinzessin und Kaspers Freund Seppel. Kasper macht den Zauber rückgängig und am Ende hat der Held sich dann ein großes Stück Kuchen verdient, genauso wie die Puppenspieler.

Heike Brock und Peter Wilhelm: Neues von Kasperle und seinen Freunden. 9 lustige Kasperlestücke. Urania Verlag 2003. 9,90 Euro.

Ursula Lietz: Neue Kasperlestücke für viele Anlässe zum Nachspielen und Mitmachen für Menschen ab 3 Jahren. Ökotopia Verlag 2010. 12,90 Euro.

 

Mal kein Kinderbuch: „Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können“ von Susanne Gaschke

Da Kinderbücher ebenso Konsumgüter sind, wie z.B. Klamotten oder Spielzeug, genauso vermarktet werden und Kinder bzw. Eltern als Käufer finden sollen, hat mich das im letzten Herbst erschienene Buch „Die verkaufte Kindheit“ von Susanne Gasche sehr interessiert und ich möchte euch gerne von meinen Eindrücken beim Lesen berichten.

Eigentlich hatte ich mir einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht für die objektive und unvoreingenommene Lektüre von „Die verkaufte Kindheit“: Zu Weihnachten, dem Konsumfest, an dem Spielzeuggeschenke eine wichtige Attraktion ausmachen, erscheinen konsumkritische Argumente und Gedanken noch viel plausibler als in den restlichen Monaten des Jahres.

So entfalteten die Thesen von Susanne Gaschke gut ihre Wirkung. Sie postuliert in ihrem Buch, dass die Kindheit heute schon mit 7 Jahren zu Ende geht, weil Kinder früh die Medien der erwachsenen Kommunikationsgesellschaft nutzen. Ein Zuviel an Konsumkultur behindert Kinder beim Spielen und in ihrer Entfaltung. Überdeterminisierte Spielzeuge (also solche mit zu viel Ausstattung, mit zu vielen Geräuschen und Effekten) lassen keinen Raum für Fantasie. Die Autorin beschreibt, wie Marketingexperten systematisch die Kaufkraft von Kindern abschöpfen möchten, wie „Kids“ in der Sprache der Werber zu Konsumenten gemacht werden und ihre natürliche Neugierde und Begeisterungsfähigkeit ausgenutzt werden soll. Marketing-Fachleute suggerieren, ihnen läge das Wohl der Kinder am Herzen, tatsächlich zählt natürlich nur der Umsatz

Dabei geht sie darauf ein, dass Eltern zwar die Hauptverantwortung für den Konsum ihrer Kinder tragen, dass aber nicht die ganze Verantwortung nur auf den Eltern lasten sollte. Susanne Gaschke fordert, dass über den Medienkonsum von Kindern breiter gesellschaftlich diskutiert wird und dass es kindgerechte Räume geben sollte, die werbefrei sind und nicht von Medien dominiert werden. Als wichtigstes Beispiel führt sie hierbei an, dass Schulen als Schutzzonen gegen Werbung und Marketing fungieren sollen und der Computereinsatz dort kritisch hinterfragt wird. Diese Forderungen finde ich sehr sinnvoll. Man könnte jedoch in dieser Richtung viel weiter gehen und noch konkretere Vorschläge machen, wie Werbeverbote im Umfeld von Kindersendungen. Und warum müssen auf allen Spielsachen diese Aufkleber mit „Fördert Geschicklichkeit, Konzentration etc. Ihres Kindes“ drauf sein? Können Spielsachen nicht einfach Spielsachen sein?

Die praktischen Hinweise, wie man als Eltern mit der Konsumkultur umgehen kann, die im Titel des Buches versprochen werden, sind sehr allgemein gehalten. Nichtkommerzielle Kinderkulturprojekte (Pfadfinder, Abenteuerspielplätze) werden vorgestellt, Bücher als Alternative zum exzessiven Medienkonsum empfohlen und Erziehungsmaximen wie „Kinderzimmer aufräumen“ und „Manieren einüben“ ausgegeben. Ich hätte mir da aber noch konkretere Tipps gewünscht wie z.B. für den Umgang mit Verwandten , die Spielzeug schenken, oder konsumorientierten Freunden in der Schule. So löst das Buch nicht ganz ein, was es verspricht und bedient sich der Logik, die es eigentlich kritisiert.

Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können. Pantheon Verlag 2011. 14,99 Euro.